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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo
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und zu einer alten Orgel.
    Und da war er. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, denn es war dunkel dort oben. Doch ich wußte, daß er es war.
    Ich wollte aufstehen, doch er gebot mir sitzenzubleiben.
    »Pilar«, sagte er sehr bewegt. »Bleib, wo du bist.«
    Ich gehorchte.
    »Möge mich die Große Mutter erleuchten«, fuhr er fort. »Möge diese Musik mein heutiges Gebet sein.«
    Und er begann das Ave Maria zu spielen. Es mochte etwa sechs Uhr nachmittags sein, die Stunde des Angelus, die Stunde, in der Licht und Dunkelheit ineinander übergehen. Der Klang der Orgel hallte in der leeren Kirche, drang in die von Geschichte und Glauben durchtränkten Steine und Figuren. Ich schloß die Augen und ließ die Musik auch in mich eindringen, damit sie meine Seele von Ängsten und von Schuld reinwusch, mich nicht vergessen ließ, daß ich besser war, als ich dachte, stärker, als ich glaubte.
    Plötzlich mußte ich einfach beten. Seit mir der Glaube abhanden gekommen war, überkam es mich zum ersten Mal. Ich saß zwar dort auf der Bank, doch in Wahrheit kniete meine Seele vor dieser Frau vor mir, der Frau, die ja gesagt hatte, als sie hätte nein sagen und es dem Engel überlassen können, statt ihrer eine andere zu finden, und es wäre keine Sünde vor dem Herrn gewesen, denn Gott kennt die Schwächen seiner Kinder. Doch sie hat
    Dein Wille geschehe
    gesagt, obwohl sie spürte, daß sie mit den Worten des Engels allen Schmerz und alles Leiden ihres Schicksals empfing. Und mit den Augen ihres Herzens konnte sie sehen, wie ihr geliebter Sohn dereinst das Haus verließ, die Menschen, die ihm folgten und ihn später verleugneten, doch sie hatte
    Dein Wille geschehe
    gesagt, obwohl sie ihr Kind bei den Tieren im Stall zur Welt bringen mußte, weil die Heilige Schrift es so wollte,
    Dein Wille geschehe
    obwohl sie ihren Sohn voller Angst in den Straßen suchen und ihn dann im Tempel finden würde. Und er sie bitten würde, ihn nicht zu stören, da er andere Pflichten und Aufgaben zu erfüllen habe.
    Dein Wille geschehe
    obwohl sie wußte, daß sie ihn ein ganzes Leben lang suchen würde, das Herz vom Dolch des Schmerzes durchbohrt, jeden Augenblick um sein Leben fürchtend, wissend, daß er verfolgt und bedroht sein würde.
    Dein Wille geschehe,
    obwohl sie wegen der Menge nicht zu ihm gelangen konnte.
    Dein Witte geschehe,
    obwohl ihr Sohn, wenn sie jemanden bitten würde, ihm zu sagen, daß sie da sei, ihr ausrichten ließe, ›meine Mutter und meine Brüder sind die, die bei mir sind‹.
    Dein Wille geschehe,
    obwohl, wenn am Ende alle geflohen wären, nur sie, eine andere Frau und einer von ihnen am Fuße des Kreuzes ausharren würden und das Gelächter der Feinde und die Feigheit der Freunde ertragen.
    Dein Wille geschehe.
    Dein Wille geschehe, Herr. Denn Du kennst die Schwäche der Herzen Deiner Kinder und erlegst einem jeden nur die Bürde auf, die es tragen kann. Denn Du verstehst meine Liebe, die das einzige ist, was ganz mein ist, das einzige, was ich in das andere Leben mitnehmen kann. Mach, daß sie trotz der Abgründe und der Fallstricke, die die Welt bereithält, mutig und rein ist, auf daß sie weiterlebe.
    Die Orgel schwieg, die Sonne verbarg sich hinter den Bergen, als würden beide von derselben Hand befehligt. Sein Gebet wurde erhört, die Musik war sein Gebet gewesen. Ich öffnete die Augen, und die Kirche lag nun in vollkommener Dunkelheit, bis auf eine einsame Kerze, die das Bildnis der Heiligen Jungfrau beleuchtete.
    Ich hörte wieder seine Schritte, die zu mir zurückkehrten. Der Schein dieser einzigen Kerze beleuchtete meine Tränen und mein Lächeln, das, wenn es auch nicht so schön war wie das der Heiligen Jungfrau, zeigte, daß mein Herz lebendig war.
    Wir sahen einander an. Meine Hand suchte seine und fand sie. Ich spürte, daß sein Herz jetzt schneller schlug, ich konnte es beinahe hören, weil wir beide wieder schwiegen.
    Meine Seele aber war ruhig und mein Herz voller Frieden.
    Ich hielt ihn bei der Hand, und er schloß mich in seine Arme. Eng umschlungen standen wir zu Füßen der Heiligen Jungfrau, wie lange, weiß ich nicht, die Zeit war stehengeblieben. Sie blickte auf uns nieder. Die junge Bäuerin, die ja zu ihrem Schicksal gesagt hatte. Die Frau, die zugestimmt hatte, den Sohn Gottes in ihrem Leib und die Liebe der Göttin in ihrem Herzen zu tragen. Sie konnte verstehen.
    Ich wollte nichts fragen. Allein die Augenblicke in der Kirche an jenem Nachmittag rechtfertigten diese Reise. Die

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