Am Ufer
erschienen sei und ihr aufgetragen habe, ein Kloster gemäß den ursprünglichen Regeln des Ordens zu gründen.«
›Wie die heilige Teresa‹, dachte ich.
»Maria de Jesus verließ an dem Tag, an dem sie diese Vision hatte, das Kloster und ging barfuß nach Rom. Ihre Pilgerwanderung dauerte zwei Jahre – in denen sie unter freiem Himmel schlief, unter Kälte und Hitze litt und von den Almosen und der Barmherzigkeit anderer lebte. Es war ein Wunder, daß sie überhaupt bis dorthin gelangte. Und ein noch größeres Wunder, daß sie von Papst Pius IV. empfangen wurde.«
»Denn der Papst hatte wie Teresa und viele andere Menschen dasselbe gedacht«, schloß ich.
Genau wie Bernadette, die nichts vom Beschluß des Vatikans gewußt hatte, so wie auch die Affen von den anderen Inseln von dem Experiment, das durchgeführt wurde, nichts wissen konnten, genau wie Maria de Jesus und Teresa voneinander nichts wußten.
Etwas begann allmählich Sinn zu machen.
Wir gingen nun durch einen Wald. Die höchsten, trockenen, schneebedeckten Zweige wurden von den ersten Sonnenstrahlen beschienen. Der Nebel hatte sich jetzt vollkommen aufgelöst.
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Pater.«
»Ja. Die Welt erlebt einen Augenblick, in dem viele Menschen denselben Auftrag erhalten.«
»Folgt euren Träumen, macht, daß euer Leben ein Weg zu Gott werde. Verwirklicht seine Wunder. Heilt. Macht Prophezeiungen. Hört auf euren Schutzengel. Verändert euch. Seid Kämpfer, und seid glücklich in eurem Kampf.«
»Riskiert etwas.«
Die Sonne übergoß alles mit ihrem gleißenden Licht, der glitzernde Schnee schmerzte mich in den Augen, als wollte er die Worte des Paters bekräftigen.
»Und was hat dies mit ihm zu tun?«
»Ich habe Ihnen die heroische Seite der Geschichte erzählt. Doch Sie wissen nichts über die Seele dieser Helden.« Er machte eine lange Pause. »Über das Leiden«, fuhr er fort. »Veränderungen schaffen Märtyrer. Bevor die Menschen ihren Träumen folgen können, müssen andere sich opfern. Sie nehmen es auf sich, lächerlich gemacht, verfolgt, in Mißkredit gebracht zu werden.«
»Die Kirche hat die Hexen verbrannt, Pater.«
»Ja. Und Rom hat die Christen den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Diejenigen, die auf dem Scheiterhaufen oder in der Arena gestorben sind, stiegen schnell zur Ewigen Herrlichkeit Gottes auf – das war besser so. Doch heute widerfährt den Kriegern des Lichtes etwas Schlimmeres als der ehrenvolle Tod der Märtyrer. Sie werden ganz allmählich von der Scham und der Erniedrigung aufgefressen. So geschah es mit der heiligen Teresa, die den Rest ihres Lebens leiden mußte. So erging es Maria de Jesus. So erging es auch den fröhlichen Kindern von Fatima: Jacinta und Francisco starben wenige Monate später. Lucia ging in ein Kloster, das sie nie wieder verließ.«
»Aber Bernadette erging es nicht so.«
»Aber ja doch. Sie mußte Gefängnis, Erniedrigung und Ablehnung erfahren. Er wird Ihnen dies alles erzählt haben. Er wird Ihnen von den Worten der Erscheinung berichtet haben.« »Von einigen.«
»Die Sätze, die die Heilige Jungfrau bei ihren Erscheinungen in Lourdes sprach, füllen nicht einmal eine halbe Heftseite. Die Heilige Jungfrau hat aber auch dem Hirtenmädchen gesagt: ›Ich verspreche nicht das Glück auf dieser Erde.‹ Von den wenigen Sätzen, die die Erscheinung sagte, war einer dazu bestimmt, Bernadette zu warnen und zu trösten. Warum? Weil Sie wußte, welcher Schmerz das Mädchen in Zukunft erwartete, wenn es seine Mission auf sich nahm.«
Ich blickte auf die Sonne, den Schnee und die kahlen Bäume.
»Er ist ein Revolutionär«, fuhr der Pater fort, und seine Stimme klang demütig. »Er hat die Macht, er redet mit der Heiligen Jungfrau. Wenn es ihm gelingt, seine Energie zu konzentrieren, dann kann er zu den Ersten gehören, einer der Führer der spirituellen Veränderung der Menschheit werden. Die Welt durchlebt einen äußerst wichtigen Augenblick.
Wählt er allerdings diesen Weg, erwartet ihn viel Leid. Seine Offenbarungen sind verfrüht. Ich kenne die menschliche Seele gut genug, um zu wissen, was ihn erwartet.«
Der Pater wandte sich mir zu, packte mich an den Schultern.
»Bitte«, sagte er. »Halten Sie ihn vom Leiden und der Tragödie ab, die ihn erwarten. Er wird ihnen nicht gewachsen sein.«
»Ich verstehe, wie sehr Sie ihn lieben, Pater.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, nichts verstehen Sie. Sie sind noch zu jung, um die Bosheit der Welt zu kennen. Sie
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