Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

einmal an einer Demo teilgenommen. Vor dem Kaufhaus Breuninger. Dort werden Pelzmäntel verkauft.«
    »Jakob demonstriert gegen Pelzmäntel?«
    »Nein, du Holzkopf.« Jetzt lacht Hildegard, ihr Gesicht glättet sich, und Dengler weiß plötzlich genau, warum er sich damals in diese Frau verliebt hat. Er verscheucht den Gedanken schnell wieder.
    »Unser Sohn liebt Tiere. Schau dir mal sein Bücherregal an. ›Mein liebstes Tierbuch‹, da war er fünf. Jetzt liest er solch grausliche Sachen wie ›Tiere essen‹!«
    »Ja, nun gut. Also: Ich brauche die Adressen der Eltern seiner Freunde, der Freunde, mit denen er in Barcelona ist, und die Namen seiner Lehrer. Ich werde sein Umfeld überprüfen. Außerdem nehme ich Jakobs Laptop mit. Olga wird ihn untersuchen.«
    Ein merkwürdiges Gefühl, den eigenen Sohn mit den üblichen Polizeimethoden zu suchen: persönliches Umfeld checken, erste nahe Freunde befragen, dann entferntere Bekannte, Kreise um die Zielperson ziehen, Informationen sammeln, bis man sie kennt wie den eigenen Bruder.
    Aber wieso kennt er Jakob nicht so gut? Nicht gut genug?
    »Jakobs Laptop bleibt hier. Ich will nicht, dass deine Gespielin in Jakobs E-Mails herumschnüffelt.«
    »Olga ist die beste Computerexpertin, die ich kenne. Ich muss wissen, was Jakob vorgehabt hat. Wir beide wissen es offensichtlich nicht.«
    »Der Computer bleibt hier.«

Monolog Carsten Osterhannes
    Sprechen wir über den ersten Regelkreis, die Beschaffung der Tiere. Als ich aus den USA zurückkam, stand mein Plan bereits fest. Ich wohnte auf dem Hof meines Vaters und stieg dann in die Metzgerei meines Onkels in Cloppenburg ein. Von ihm lernte ich alles, was ich über das Schlachten wissen musste. Ich ging ihm zur Hand: Ich hielt die Schweine fest, dann schoss ich mit dem Bolzengerät; er zeigte mir die richtigen Messer, die Zerlegetechniken. Ich lernte das Handwerk von der Pike auf.
    Ich schlachte heute noch selbst. Sicher, ich bin nicht mehr der Jüngste und lange nicht mehr so kräftig hin wie früher, doch hinter meinem Haus habe ich eine kleine, höchst moderne Schlachterei bauen lassen. Meine Familie isst gerne Fleisch. Und jede Wurst, die bei uns auf den Tisch kommt, stammt von einem Tier, das ich eigenhändig getötet habe. Es ist wichtig, dass ich das tue, denn ich will nach wie vor ein Gefühl für das Produkt haben, das mich reich gemacht hat.
    Aber ich schweife ab. Es war doch so: Nach den Entbehrungen des Krieges wollten die Deutschen Fleisch essen. Überall wurde geschlachtet. Gewurstet. Geschmort und gebraten. Ich spezialisierte mich auf Kälber. Die Überlegung war einfach. Wenn jeder einen Fernseher hatte, eine Waschmaschine und einen Kühlschrank, wenn jeder Schweinefleisch aß, dann wollte er irgendwann höherwertiges Fleisch. Kalbfleisch. Die Franzosen sind verrückt danach. Die Italiener auch. Kalbfleisch ist zart. Es ist helles Fleisch. Noch heute habe ich eine der größten Schlachtereien für Kälber. Meine Kälber haben weißes Fleisch. Das ist begehrt. Feinschmecker mögen weißes Fleisch. Es erzielt einen höheren Preis.
    Das Kalb ist die Basis meines Imperiums. Heute steht mein Name eher für Hühnerfleisch und neuerdings Pute. Aber: Weißes Fleisch vom Osterhannes. Nach wie vor ein Qualitätsbegriff. Beste Wurst, bestes Fleisch – Osterhannes.
    Kälberverordnung hin oder her: Man muss einige Dinge berücksichtigen, dann bekommt das Kalbfleisch diese wunderbare helle Farbe. Erstens: Schlachte das Tier früh. In der Regel hole ich Kälber nach zwanzig Wochen vom Mäster ab. Dann geht’s ab zur letzten Reise. Zwanzig Wochen, dann ist das Fleisch richtig jung, frisch, saftig. Zweitens: Die Farbe hängt entscheidend von der Haltung ab. Daher: niemals auf die Weide, kein Grünfutter. Grünfutter färbt das Fleisch rot. Die Kälber bleiben in einem Ministall. Nicht größer als 80 mal 120 Zentimeter. Ihre Muskeln sollen verkümmern, damit sich nur das weiße Fleisch entwickelt. Drittens: spezielles, hochwertiges, eiweißhaltiges Futter ohne Eisenanteil, um die Bildung von roten Blutkörperchen zu hemmen. Nach der Geburt das Kalb daher so schnell wie möglich der Mutter wegnehmen. So wächst das begehrte Osterhannes-Kalb heran.

29. Hof des Bauern Zemke, Nähe Oldenburg, früher Abend
    Sie suchen systematisch ihre Zelle ab.
    Cem rückt den Tisch unter das Fenster, klettert darauf und versucht, das Fenster aufzudrücken.
    »Keine Chance. Das Glas ist mit Draht verstärkt. Und alles von außen verschlossen.