Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
Antibiotika ein. Wir können gar nicht anders. Basta.
Wenn ich in Berlin bin, verbringe ich gerne einen Abend im Wedding. Ich laufe die Müllerstraße hinauf und freue mich über den Dino Imbiss, den Kismet Grill, das Kebab Haus oder das Best Asia Chicken. Ich sitze im Borchardt und sehe der oberen Mittelklasse beim Fleischverzehr zu. Vielleicht wissen die Türken und die Libanesen, die Araber und die Bulgaren im Wedding nichts von den resistenten Mikrobenstämmen, aber hier unter den gebildeten Menschen ist bekannt, dass rotes Fleisch Gicht, Rheuma, Diabetes und Krebs hervorruft. Und? Sie essen es trotzdem. Jeder hier weiß, dass 300 Gramm rotes Fleisch wöchentlich das Risiko von Dickdarmkrebs um zwanzig bis dreißig Prozent erhöhen. Das weiß der Schlachter, das weiß der Koch, das weiß der Gast – und?
Nichts!
So sieht es aus. Unser Geschäftsmodell ist nicht zu stoppen, weil jeder es will.
Die Politik ist Gott sei Dank auf unserer Seite. Aber sie muss Rücksicht nehmen. Politik hat immer zwei Gesichter. Eines zum Publikum und ein wirkliches. Als die Verwendung von Antibiotika ein öffentlicher Aufreger und sogenanntes Wachstumsdoping verboten wurde, verordnete sie, dass die Medikamente nur unter Aufsicht eines Tierarztes verabreicht werden dürfen. Vorher hat der Mäster das Zeug selbst ins Futter gemischt, danach musste der Herr Doktor höchstpersönlich anreisen und genervt selbst einen Blick durch das Glasfenster auf die Tiere werfen. Ging der Medikamenteneinsatz deshalb zurück? Natürlich nicht. Er steigt nach wie vor.
Aber das Publikum war besänftigt.
Das immerhin.
Aber die Botschaft an uns ist eindeutig.
Weitermachen! Oder würden Sie das anders verstehen?
Denn wir haben große Pläne.
Die großen Fleischproduzenten Deutschlands werden den europäischen Markt aufrollen. Wir haben alle Voraussetzungen dafür geschaffen. Wir haben die Kapazitäten. Wir haben die Strukturen. Die Lieferwege. Doch eines geht nicht: Es geht nicht, dass sich bei jeder Mastanlage Leute zusammenrotten und Ärger machen. Um ein Beispiel zu nennen: Allein in der letzten Woche gab es Proteste gegen uns in Bad Dürrheim, im Landkreis Augsburg; in Witze/Celle schrien 7000 Demonstranten: »Wir haben die Agrarindustrie satt«; es gibt Gottesdienste gegen uns, der evangelische Landesbischof predigt dagegen, dass wir Hühnerflügel und andere minderwertige Teile nach Afrika verkaufen. Es gab in derselben Woche eine Demonstration gegen uns in Leipzig, eine Protest-Radrundfahrt in Ostbrandenburg, eine Predigt in Günzburg, Kabarett in Vegesack, Grüne Jugend in Gotha – alles in einer Woche.
Wir haben Genehmigungen für große Schlachthöfe, die eine Million Hühner am Tag schlachten können. Wir planen Hunderte von Mastanlagen in der Größenordnung von jeweils 10000 Schweinen und 500000 Hühnern.
Und wir werden sie bauen.
84. Hof des Bauern Zemke, Nähe Oldenburg, nachts
»Schnell, schnell, bevor es wieder richtig schüttet!«
Marcus kommandiert Bruno mit einem Kanister zum Wohnhaus. »Verteil das Zeug in der Küche und zieh eine Spur durch den Flur bis auf den Hof. Gib eine Extraladung über das Blut von Ronnie. Kevin, Benzin an alle vier Ecken des Scheißputenstalls. Schnell.«
Er blickt sorgenvoll in den nächtlichen Himmel. Der Regen verwandelt sich gerade in einen Wolkenbruch.
Von Weitem sieht er rotierendes Blaulicht. »Licht aus«, schreit er. Alle Lichter aus.«
Er rennt ins Wohnhaus, stürmt die Kellertreppe hinab und legt den Hauptschalter um. Alle Lichter gehen aus. Dann rennt er die Treppe wieder hoch, nimmt die Uzi vom Küchentisch und läuft in den Hof. Das Blaulicht ist schon näher gekommen.
»Wenn die Bullen auf den Hof kommen, erst schießen, wenn ihr die Maschinenpistole hört. Verstanden? Das scheint nur ein Wagen zu sein. Danach hauen wir ab.«
Das Blaulicht kommt näher. Jetzt sehen sie den Polizeiwagen. Die Männer halten die Luft an. Er hat jetzt die Einfahrt erreicht – und fährt weiter.
»Jesses«, sagt Bruno.
»Weitermachen!«
Marcus kippt einen kräftigen Schuss Benzin auf den Boden. Aus der Hosentasche zieht er sein Feuerzeug hervor. Mit beiden Händen schützt er die Flamme und hält sie an die Benzinpfütze.
Nichts.
»Scheiße.«
Er probiert es noch einmal.
Nichts.
Wütend dreht er sich um. »Kommando zurück«, schreit er. »Wir warten, bis der Scheißregen vorbei ist.«
»Was machen wir mit Ronnie?«, fragt Bruno. »Soll der hier liegen bleiben?«
»Den nehmen wir mit,
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