Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
zurück. Ihre Freundin fährt bestimmt zum Strand. In Köln regnet es jetzt. Hab ich heute Morgen noch im Fernsehen gesehen.«
»Es regnet überall in Deutschland. Ist ein komisches Frühjahr.«
Sie fahren nun die Avenue del Litoral entlang. Rechts liegt La Barceloneta und das Mittelmeer. Durch das geöffnete Fenster des Taxis strömt warme Meeresluft. Doch Dengler hat Angst. Ein drückendes Gefühl in seiner Magengrube. Angst. Angst und Ungewissheit. Die Frau, der sie folgen, soll sie zu seinem Sohn und zu dessen Freunden führen. Aber stattdessen macht sie einen Ausflug zum Meer.
Das Taxi vor ihnen hält.
»Halten Sie zwanzig Metern davon entfernt.«
Olga steigt aus, Dengler bezahlt den Fahrer. Dann folgen sie der Blonden, die durch eine schmale Straße hinunter zum Meer läuft. Sie dreht sich nicht um. Sie beachtet den Kitsch in den Auslagen der Touristenläden nicht, die Barca-T-Shirts, die Dalí-Poster, die Postkarten, die Miró-Imitationen, die Fototapeten mit Motiven der Stadt.
Die Fototapeten?
Olga hält Georg Dengler am Arm fest und weist schweigend auf ein Schaufenster. Drei große Fototapeten hängen von der Wand. Eine davon hat genau das Motiv, vor dem Jakob fotografiert wurde.
92. La Barceloneta, Strand, nachmittag
»Jetzt!«
Die Blonde telefoniert.
Sie liegt auf einem großen blauen Badetuch in einem knappen Bikini. Und das bereits seit drei Stunden.
Dengler und Olga erheben sich von dem Tisch in dem Strandcafé etwas oberhalb des Strandes. Sie gehen in schnellen Schritten auf die Blonde zu, die nun aufrecht sitzt, das Handy am rechten Ohr.
Dengler rennt los.
Als er bei der Blonden ist, schlägt er ihr das Handy aus der Hand, schnappt sich ihre Badetasche und rennt los.
Die Blonde schreit: »Hey!« und springt auf. Sie sucht das Handy, aber Olga hat es schon in der Hand.
Olga schreit: »Bleib stehen, du Scheißer!« Und rennt einige Schritte hinter Dengler her, der jetzt die Badetasche fallen lässt, weiterrennt, die Straße erreicht und verschwindet.
Olga und die Blonde laufen einige Schritte hinterher, die Frau hebt ihre Badetasche auf, und Olga reicht ihr das Handy.
»Diese Scheißtypen. Wenn ich den erwischt hätte.«
»Wenn Sie zur Polizei gehen wollen, ich komme gerne als Zeugin mit.«
Die Blonde winkt ab. »Ich hab die Badetasche ja wieder zurück. Außer einem T-Shirt und meinem Rock war da ja gar nichts drin.«
Sie schüttelt den Kopf. Dann klopft sie den Sand von der Tasche.
»Danke. Vielmals danke.«
»Keine Ursache.« Die beiden Frauen reichen sich die Hände.
Kurz danach treffen sich Dengler und Olga in ihrem Hotelzimmer.
»Hast du die Telefonnummer?«
Sie reicht ihm einen Zettel.
Dengler greift nach seinem Handy und wählt die Nummer des BKA -Verbindungsbeamten in Madrid. »Hallo Christof, ich habe noch eine Nummer. Könntest du feststellen, wer der Teilnehmer ist, wo er ist und mit wem er um 16.20 Uhr in Barcelona gesprochen hat? – Ja. Ich danke dir.«
Achter Tag
Sonntag, 26. Mai 2013
Monolog Carsten Osterhannes
Unternehmer sein heißt auch immer wieder, Chancen zu erkennen und vor allem Chancen zu nutzen. Jetzt sprechen wir über den nächsten Regelkreis: die Beschaffung von Arbeitskräften. Die entscheidende Chance sahen wir nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Man kann es nicht anders sagen: Die Fleischindustrie war ihrer Zeit weit voraus.
Wir schickten damals den kleinen Arbeitsminister aus der Regierung Kohl los. Es gibt Fotos, da sieht man mich noch, irgendwo hinten in der dritten Reihe, da stehe ich und grinse in die Kamera. Das Abkommen, das am 8. Dezember 1990 in Warschau unterzeichnet wurde, heißt: Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Entsendung von Arbeitnehmern polnischer Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen.
Diese Vereinbarung und die weiteren, die folgten, sind die Grundlage des Wohlstands der Fleischregion in Deutschland, also des Gebiets südlich von Oldenburg, das sich bis Münster zieht und nach Ost-Westfalen, Hoheitsgebiet meines Kollegen Tönnies. Über dieses Abkommen schrieb keine Zeitung lange Artikel, aber es veränderte die Bundesrepublik. Es veränderte unsere Branche. Und in aller Bescheidenheit: Es machte mich zu einem der reichsten Männer Deutschlands.
Der Vertrag sah vor, dass Schlachtereien aus Polen Kontingente ihrer Arbeitskräfte in Betriebe in Deutschland schicken durften. Später kamen – sehr wichtig – Rumänien und Bulgarien
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