Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
dass ich keine Nächstenliebe brauche. Ich habe an einer der besten juristischen Fakultäten des Landes studiert, habe in Fachzeitschriften veröffentlicht und habe eben ein Assessorat an einem Bundesappellationsgericht abgeschlossen. Ich kann jeden Job bekommen, den ich will, und ich werde mir auch bald einen neuen suchen, wenn du mir nicht mehr Verantwortung überträgst.«
Frank machte ein wütendes Gesicht und wollte etwas erwidern, aber Amanda fuhr unbeirrbar fort.
»Schau, Dad, vor Gericht bin ich vielleicht noch Anfängerin, aber was juristische Recherche angeht, bin ich unschlagbar.«
Frank zögerte. Dann warf er den Kopf zurück und lachte. »Du hast verdammtes Glück, dass du meine Tochter bist. Wenn ein anderer Sozius so mit mir geredet hätte, hätte ich ihn mit einem Fußtritt gefeuert.«
Amanda grinste, hielt aber jetzt den Mund. Nach den Unmengen von Plädoyers, die sie gelesen und gesehen hatte, wusste sie eins sehr gut, dass man nämlich schwieg, wenn man gewonnen hatte.
»Geh in mein Büro und hol dir die Akte!«, sagte Frank. Dann kam ihm ein Gedanke. »Da du so scharf darauf bist, dir die Hände schmutzig zu machen, kannst du ja Herb Cross Gesellschaft leisten, wenn er Justine Castle, Cardonis Frau, befragt. Bei der Kautionsanhörung hat sie uns fertig gemacht. Bei der Hauptverhandlung könnte ihre Aussage Cardoni in die Todeszelle schicken.«
»Ist Castle Ärztin?«
»Ja. Warum?«
»Und sie ist sehr attraktiv?«
»Eine Schönheit.«
»Ich kenne sie.«
16
An jedem Wochentag ruderte Carleton Swindell frühmorgens auf dem Willamette und duschte dann in seinem Sportclub. Seine Haare waren noch ein wenig feucht, als er einige Tage nach Vincent Cardonis Kautionsanhörung pünktlich um halb acht das Vorzimmer seines Büros betrat. Als der Verwaltungsdirektor die Tür öffnete, stand Sean McCarthy sofort auf und zeigte ihm seine Marke.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich hier drinnen gewartet habe, Dr. Swindell«, sagte McCarthy, während Swindell seinen Ausweis musterte. »Es war niemand da.“
»Kein Problem, Detective. Meine Sekretärin kommt erst um acht.«
McCarthy folgte Swindell in dessen Büro. An der Wand hingen Zeugnisse verschiedener prestigeträchtiger Universitäten, darunter ein medizinischer Abschluss und ein Master in öffentlichem Gesundheitswesen, daneben Fotos, die Swindell mit Präsident Clinton, den beiden Senatoren Oregons und verschiedenen anderen Prominenten zeigten. Ein Tennispokal und zwei Plaketten für Rudersiege zierten eine Anrichte unter dem großen Panoramafenster mit Blick auf das Zentrum Portlands, den Willamette River und drei schneebedeckte Berge. Familienfotos konnte McCarthy nirgends entdecken.
»Ich habe doch keinen überfälligen Strafzettel, oder?«
»Wenn es nur so einfach wäre! Ich nehme an, Sie wissen, dass einer der Ärzte Ihres Krankenhauses wegen Mordverdachts verhaftet wurde?«
Swindells Lächeln verschwand. »Vincent Cardoni.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist unglaublich. Im ganzen Krankenhaus wird von nichts anderem geredet.«
»Sie waren also überrascht von der Verhaftung?«
Swindell machte ein nachdenkliches Gesicht. »Warum setzen Sie sich nicht?«, sagte er und ging um seinen Schreibtisch herum. Er nahm Platz, drehte sich in seinem Sessel seinem Besucher zu, lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Sie haben mich gefragt, ob ich überrascht bin. Die Art des Verbrechens - ein Massenmord - schockiert mich natürlich. Wie auch nicht? Aber Dr. Cardoni ist für dieses Krankenhaus ein Problem, seit wir ihn eingestellt haben.«
»Ach so?«
Swindell schaute nachdenklich drein.
»Ihr Besuch stellt mich vor ein Problem. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit Ihnen über Dr. Cardoni sprechen kann. Vertraulichkeit und das alles.“
McCarthy zog ein Dokument aus seiner Innentasche und hielt es Swindell hin.
»Ich habe mir von einem Richter einen Beschlagnahmungsbescheid ausstellen lassen, bevor ich zu Ihnen kam. Er bezieht sich auf Dr. Cardonis Unterlagen.«
»Nun ja, ich bin mir sicher, dass es damit seine Richtigkeit hat. Ich muss ihn allerdings von unserem Anwalt prüfen lassen. Aber ich werde die Angelegenheit natürlich beschleunigen.«
»Vielen Dank.«
»Schockierend, diese ganze Geschichte.« Swindell zögerte. »Kann ich inoffiziell sprechen?«
»Natürlich.«
»Ich habe natürlich keine Beweise für das, was ich Ihnen jetzt sage. Es ist wohl eher das, was man Background-Informationen nennen
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