Amber Rain
letzten Sonntag im Club. Er hat geprobt mit einem neuen Model. Wegen der Convention, du weißt schon. Er hatte George ja versprochen, das zu machen, und George konnte nicht mehr absagen. Es war ein Desaster. Er hat sich so gehasst. Ich habe ihn noch nie so erlebt. Er war … Amber, Crispin kann hart sein und erbarmungslos, aber er war noch nie brutal. Er hat niemals eine von uns gedemütigt. Und jetzt ist er mit Jessie in Nottingham und ich hoffe so sehr, dass er nichts Dummes tun wird, was er später bereut. Nicht, weil ich denke, dass Jessie es nicht aushalten wird, sondern weil ich wirklich Angst um ihn habe. Dass er es nicht aushalten wird, wenn er seine eigenen Regeln verletzt, vor all den Leuten.“
Die Convention. Natürlich. Zwischen all dem Drama in den letzten Tagen habe ich ganz vergessen, dass ich Crispin ve r sprochen hatte, mit ihm auf der Convention aufzutreten. Und plötzlich weiß ich, was ich tun muss. Ich brauche keine Worte, um ihn zu bitten, mich zurückzunehmen. Es gibt eine andere Möglichkeit, mit der ich ihm zeigen kann, dass ich ihm gehöre. Immer gehört habe und immer gehören werde.
„Michaela“, sage ich und bin schon dabei, in meiner Gel d börse nachzusehen, ob ich noch genug Geld für ein Zugticket habe. „Hast du eine Möglichkeit, noch an eine Karte zu ko m men?“
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Crispin
Conventions gehören zu meinem Lifestyle dazu. Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, sich über aktuelle Trends oder neua r tige Utensilien zu informieren, sie vorgeführt zu bekommen, ihre Vorteile und Nachteile schätzen zu lernen. Die besten Pe r former betreten die Bühne und zeigen, was möglich ist. Man kann entscheiden, was man mag, was nicht. Man lernt neue Leute kennen, knüpft Kontakte. Es ist eine Gemeinschaft, die weitgehend unter sich bleibt , man hängt nicht an die große Glocke, dass man dazugehört. Diskretion ist das Credo der Gemeinschaft. Die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten in Ko n takt zu kommen, ergibt sich nie im normalen Leben, man muss wissen, wohin man sich wendet.
Ich begrüße Leute, die ich von früheren Conventions kenne. Jemand schlägt mir ein bisschen zu kumpelhaft auf die Schulter und gibt mir zu verstehen, dass er sich auf die Show freut. Ich bahne mir meinen Weg durch lederkorsettierte, überschminkte Frauen mit Reitgerten in der Hand, halbnackte Muskelprotze, zwei Multimillionäre, die über Seilstärken fachsimpeln. Der drei mal drei Meter große Raum, den sie Jessica und mir zur Verfügung gestellt haben als Garderobe, liegt ganz am Ende des Ganges. Linoleum quietscht unter meinen Füßen. Es riecht nach Schweiß und nach viel zu schwerem Parfüm.
Jessica ist dabei, ihr Haar zu kämmen, als ich ohne anzuklo p fen den Raum betrete. Sie schaut nur kurz zu mir auf, ehe sie den Kopf tiefer senkt als zuvor. Ihre Unterwürfigkeit geht mir auf die Nerven, aber ich habe beschlossen, mich davon nicht ablenken zu lassen. Ich kann es ohnehin nicht ändern, sie ist halt einfach so. Ich habe beschlossen, dass sie großartig auss e hen wird. Wir werden eine dreiviertel Stunde auf der Bühne haben. Eine lange Zeit. Ich habe ein paar Vorstellungen, was passieren muss, um das Publikum bei Laune zu halten, aber ich habe keine wirkliche Choreographie erstellt.
Der fensterlose Raum macht mich klaustrophobisch. Ich muss hier raus. Ich streife Cashmerehose, Jackett und blüte n reines Hemd ab und werfe mich stattdessen in Jeans und ein einfaches graues T-Shirt. Die meisten Rigger finden es klass i scher, im Kimono zu performen, weil es näher an der Tradit i on ist. Zuhause mache ich das manchmal auch. Der Unte r schied ist, dass hier, heute Abend, nicht ich im Mittelpunkt stehe, sondern mein Kunstwerk in den Seilen, und da lenkt es nur ab, wenn ich glänze und glitzere und im Kimono über die Bühne staubsaugere. Es gibt mir nichts. Ich nehme das Hal s band aus meinem Jackett und schiebe es in die Tasche der Jeans.
Jessicas Kimono liegt bereit. Für sie ist es die natürliche Wahl. Nicht, weil sie Asiatin ist. Wir leben in einer globalen Welt. Außerdem ist sie Halbchinesin, wie ich von Michaela e r fahren habe, und hat mit Japan außer dem Shibari nichts am Hut. Nein, es ist die natürliche Wahl, weil sich der Kimono später, auf der Bühne, leichter ausziehen lässt. Es ist erniedr i gend, wenn das Model oben ohne durch die Zuschauerreihen auf die Bühne tippeln darf, ich will das nicht. Mein Respekt vor ihr verbietet das.
Ich lege einen Zeigefinger unter ihr Kinn.
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