Amber Rain
Gehorsam hebt sie den Kopf und sieht mir in die Augen. „Wir haben noch eine halbe Stunde, Jessie“, sage ich ruhig. „Dehne deine Gelenke. Dein Haar ist perfekt.“
„Ja, Sir“, wispert sie. Sie ist im Sub-Modus, seit sie am frühen Nachmittag mit dem Zug aus Edinburgh angekommen ist und ich sie mit einem Taxi am Bahnhof abgeholt habe.
Gott, ich wünschte, es wäre alles schon vorbei.
Ich verlasse den Raum. Ich brauche Luft. In diesem Moment ärgert es mich, dass ich vor Jahren das Rauchen aufgegeben habe. Zigarettenpausen sind immer so eine willkommene En t schuldigung, vor die Tür zu müssen. Leise ziehe ich die Tür hinter mir zu und wende mich um.
Ich habe eine Vision. Eine Vision mit honiggoldenem Haar, mit den ebenmäßigsten Gesichtszügen, in einem roten T-Shirt mit irgendeiner Aufschrift, die vor meinen Augen ve r schwimmt, und in ausgewaschenen Jeans. Es kostet mich all meine Selbstkontrolle, nicht rückwärts gegen die Tür zu fallen, aus der ich eben gekommen bin.
„Hey“, sagt sie leise und sieht mich fast entschuldigend an. Sie ist keine Vision. Sie ist echt. Ich kämpfe dagegen an, vor ihr auf die Knie sinken zu wollen, um sie zu bitten, sich nicht in Luft aufzulösen. Die Entscheidung, die ich stattdessen treffe, rettet mir meinen guten Ruf. Ich greife sie mir. Ich packe sie im Nacken, meine Finger vergraben sich in ihren Haaren, ich zi e he sie an meinen Körper und küsse sie mit allem, was ich habe. Ich habe noch nie so geküsst. Ich glaube, es vergehen Minuten, ehe ich mich daran erinnere, dass ich Luft holen muss. Und sie auch. Ich lehne meine Stirn gegen ihre.
„Was machst du hier?“, flüstere ich atemlos.
„Ich wusste nicht, ob du …“ Ihre Stimme jagt Stromschläge durch meinen Körper. Ich muss sie zum Schweigen bringen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, und das geht am schnellsten, wenn ich sie weiter küsse.
„Willst du mich wiederhaben?“, fragt sie, als sie sich aus me i nen Armen befreit. Es ist Amber Rain. Die Frau, die mir mit ihrer Offenheit und Direktheit jeden Wind aus den Segeln nimmt. Die Frau, die nie im Leben meine Sub sein kann, und die ich in den Seilen hängen lassen will, bis sie sich auflöst. Der ich Schmerzen zufügen will, nicht um zu beweisen, dass ich es kann, sondern um ihr zu zeigen, dass sie mir gehört.
Ich antworte nicht. Ich sehe auf meine Armbanduhr. Ich spüre ihre Verwirrung wie einen leichten Windhauch auf der Haut. Sie ist immer noch da, diese Magie zwischen uns, ich kann jede ihrer Emotionen fühlen. „Heute ist Samstag“, sage ich.
„Ja, und?“
„Seit wann bist du unterwegs?“
„Ich bin … was?“ Verständnislos sieht sie zu mir auf.
„Meine Schöne.“ Ich küsse sie. „Willst du mir sagen, du hast deine Theaterprobe verpasst?“
„Ich wollte … Crispin! Wovon sprichst du? Ich wollte hier sein! Bei dir! Ich …“
Meine Fingerspitzen verschließen ihr den Mund. „Du hast deine Probe verpasst. Ich glaube, dir steht eine Strafe bevor. Sind wir uns darin nicht einig?“ Ich hebe erwartungsvoll eine Augenbraue, und das Funkeln in ihrem silberhellen Blick gibt mir die einzige Antwort, die ich zu akzeptieren bereit bin. Ich werfe die Tür hinter mir auf. Es ist mir gleich, dass ich Jessica vor den Kopf stoßen muss. Sie wird es verschmerzen. Sie hat immerhin freien Eintritt, sie hat es geschafft, zu der Convent i on zu kommen, zu der sie keine Tickets mehr kaufen konnte. Sie wird genug Leute kennenlernen, die ihr und ihrer submiss i ven Einstellung die Wertschätzung entgegenbringen, die sie von mir nicht erhalten hat. Jessica versucht gar nicht erst zu argumentieren. Sie steht auf, den Kopf gesenkt, reicht mir ihre kleine Hand und verabschiedet sich artig von mir. Ich habe meine Zweifel, ob eine Frau wie Amber zu einem solch graz i len Abgang nach einer so eindeutigen Niederlage fähig gewesen wäre.
Der Kimono liegt noch dort, wo ich ihn für Jessica deponiert habe. Ich schließe die Tür hinter Jessica und dränge Amber rücklings dagegen, mit nicht mehr als einem harten Blick und meiner Präsenz, ich berühre sie nicht. Und sie? Sie lächelt mich an. Sie leckt sich über die Lippen. Sie verbirgt ihre Hände hi n ter ihrem Rücken, als seien sie bereits gefesselt.
„Ich möchte dich vögeln“, stoße ich hervor. „Mehr, als ich dich jemals vögeln wollte, meine Schöne. Aber wir sind in …“, ich schaue nochmals auf die Uhr, „wir sind in zwanzig Minuten dran. Und du weißt, dass ich die
Weitere Kostenlose Bücher