Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
Vom Netzwerk:
anderes im Leben will. Hättest du dadurch allerdings etwas gewonnen? Ich glaube nicht.«
    »Ich spreche über die Bedeutung des Lebens. Das weißt du.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nur ein Narr glaubt, daß das Leben nur eine einzige Bedeutung hat«, sagte ich. »Genug davon! Beschreib deinen Meister!«
    »Ich habe ihn noch nie gesehen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich meine, ich habe ihn gesehen, aber ich weiß nicht, wie er aussieht. Er trug jedesmal eine Kapuze und einen schwarzen Trenchcoat. Und Handschuhe. Ich weiß nicht einmal, welcher Rasse er angehört.«
    »Wie habt ihr euch kennengelernt?«
    »Eines Tages erschien er in meinem Atelier. Es war einfach so, daß ich mich umdrehte und er dastand. Er bot mir Macht an, versprach, mir bestimmte Dinge beizubringen, als Gegenleistung für meine Dienste.«
    »Woher wußtest du, daß er sein Versprechen würde einhalten können?«
    »Er nahm mich auf eine Reise durch Orte mit, die nicht von dieser Welt sind.«
    »Ich verstehe.«
    Die Insel unserer Existenz hatte jetzt noch ungefähr die Größe eines geräumigen Wohnzimmers. Die Stimmen des Windes waren höhnisch, dann mitleidig, ängstlich, traurig und auch wütend. Unsere Rundumsicht veränderte sich ständig. Der Boden bebte ohne Unterlaß. Das Licht war immer noch unheilvoll. Ein Teil von mir hätte Melman am liebsten gleich in diesem Augenblick getötet, doch wenn er nicht der eigentliche Mörder Julias war...
    »Hat dein Meister dir gesagt, warum er mich tot sehen wollte?« fragte ich.
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf einen Blick nach hinten zu dem sich nähernden Chaos.
    »Er sagte, du seist sein Feind«, erklärte er, »aber er hat mir nicht gesagt warum. Und er sagte, daß es heute geschehen müsse; er bestand darauf, daß es heute geschehe.«
    »Warum heute?«
    Er lächelte flüchtig.
    »Ich glaube, weil Walpurgisnacht ist«, antwortete er, »obwohl er das nicht so ausdrücklich gesagt hat.«
    »Ist das alles?« wollte ich wissen. »Hat er nicht erwähnt, woher er kommt?«
    »Er sprach einmal von dem Hort der Vier Welten, so als ob es für ihn wichtig sei.«
    »Und du hattest nie das Gefühl, daß er dich benutzt?«
    Er lächelte. »Natürlich benutzte er mich«, entgegnete er. »Wir alle benutzen irgend jemanden. So ist das nun mal auf der Welt. Doch er bezahlte für diese Benutzung mit Wissen und Macht. Und ich glaube, sein Versprechen erfüllt sich immer noch.«
    Er tat so, als ob er etwas hinter mir anstarre. Das war der älteste Trick der Welt, doch ich drehte mich um. Es war niemand da. Sofort wandte ich den Blick wieder ihm zu.
    Er hielt den schwarzen Dolch in der Hand. Er mußte ihn im Ärmel versteckt gehabt haben. Er stürzte sich mit vorschnellender Klinge auf mich und murmelte neue Inkantationen.
    Ich trat zurück und schwenkte meinen Umhang um ihn herum. Er befreite sich davon, tat um sich schlagend einen Schritt zur Seite, drehte sich um und ging erneut auf mich los. Diesmal griff er tiefer an und versuchte, mich einzukreisen, wobei sich seine Lippen immer noch bewegten. Ich wollte der Hand mit dem Dolch einen Fußtritt versetzen, doch er zuckte damit zurück. Dann hob ich den linken Rand meines Umhangs hoch und wickelte ihn mir um den Arm. Als er erneut angriff, fing ich den Stoß ab und packte ihn am Bizeps. Ich zog ihn vorwärts und ließ mich gleichzeitig tiefer sinken, so daß ich mit der rechten Hand seinen linken Schenkel zu fassen bekam, dann richtete ich mich wieder auf, hob ihn hoch und schleuderte ihn durch die Luft.
    Während ich mich zur Vollendung des Wurfs um mich selbst drehte, wurde mir bewußt, was ich getan hatte. Zu spät. Da meine ganze Aufmerksamkeit auf meinen Gegner gerichtet gewesen war, hatte ich das schnelle, zermalmende Herannahen des zerstörerischen Windes aus den Augen verloren. Die Ausläufer des Chaos waren viel näher, als ich gedacht hatte, und Melman hatte gerade noch Zeit für den allerkürzesten Fluch, als der Tod ihn dorthin abholte, wo er niemals mehr inkantieren würde.
    Auch ich fluchte, denn ich war überzeugt davon, daß ich noch viel mehr Informationen von ihm hätte bekommen können; und ich schüttelte den Kopf, dort im Mittelpunkt meiner schwindenden Welt.
    Der Tag war noch nicht vorüber, und es war bereits die erinnerungswürdigste Walpurgisnacht meines ganzen Lebens.

-4-
    Es war ein langer Rückweg. Ich zog mich unterwegs um.
    Mein Ausgang aus dem Labyrinth nahm die Form einer schmalen Gasse zwischen zwei schmutzigen

Weitere Kostenlose Bücher