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Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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sanfter. Grüne Dornenbüsche wuchsen in Spalten und Ritzen. Die Zeit schien auf die Stunde der Abenddämmerung zuzugehen. Der Himmel war von einem blassen Gelb, ohne sichtbare Sonne. Ich hörte den Wind in der Ferne, spürte ihn jedoch nicht. Es war kalt, aber nicht eisig.
    Ich entdeckte in der Nähe am Boden einen Stein von der Größe einer Hantel. Zwei gemächliche Schritte -während ich weiterhin die Arme schwang und mich reckte und streckte -, und er lag neben meinem rechten Fuß.
    Die Sphinx räusperte sich.
    »Bist du bereit?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber ich bin sicher, daß dich das nicht abhalten wird.«
    »Da hast du recht.«
    Ich verspürte den unbezwingbaren Drang zu gähnen und gab ihm nach.
    »Anscheinend fehlt dir irgendwie die richtige geistige Einstellung«, bemerkte sie. »Aber jetzt geht es los: Ich erhebe mich in Flammen von der Erde. Der Wind bestürmt mich, das Wasser peitscht mich. Bald werde ich alle Dinge überblicken.«
    Ich wartete. Es verging vielleicht eine Minute.
    »Nun?« sagte die Sphinx schließlich.
    »Nun - was?«
    »Weißt du die Lösung?«
    »Zu was?«
    »Natürlich zu dem Rätsel!«
    »Ich habe gewartet. Du hast keine Frage gestellt, nur eine Reihe von Feststellungen geäußert. Ich kann keine Frage beantworten, wenn ich gar nicht weiß, wie sie lautet.«
    »Es handelt sich um die von alters her überlieferte Rätselform. Der Fragesatz ergibt sich durch den Zusammenhang. Offenkundig lautet die Frage: >Wer bin ich?<«
    »Sie hätte genausogut heißen können: >Wer liegt in Grants Grab begraben?< Aber gut. Was ist das? Natürlich der Phönix - ausgebrütet auf der Erde, sich in Flammen darüber erhebend, durch die Luft, auf den Wolken gleitend, zu einer großen Höhe aufsteigend...«
    »Falsch.«
    Ich lächelte und bewegte mich langsam.
    »Moment mal«, sagte ich. »Das ist nicht falsch. Es paßt. Es ist vielleicht nicht die von dir gewünschte Antwort, aber es ist eine Antwort, die die Erfordernisse erfüllt.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Mir obliegt die endgültige Entscheidung bezüglich der Antworten. Ich gebe die Definitionen.«
    »Dann bescheißt du!«
    »Tue ich nicht!«
    »Ich trinke den halben Inhalt einer Flasche. Ist sie danach halb voll oder halb leer?«
    »Keines von beiden. Beides.«
    »Genau. Das ist genau dasselbe. Wenn mehr Antworten als nur eine Antwort passen, dann mußt du alle gelten lassen. Das ist wie mit Wellen und Teilchen.«
    »Mir gefällt diese Betrachtungsweise nicht«, bemerkte sie. »Sie öffnet der Doppeldeutigkeit Tür und Tor. Damit könnte die gesamte Rätselbranche kaputtgemacht werden.«
    »Dafür kann ich nichts«, entgegnete ich, wobei ich die Hände zusammenballte und wieder öffnete.
    »Aber du wirfst da einen interessanten Aspekt auf.«
    Ich nickte heftig.
    »Aber es dürfte nur eine einzige richtige Antwort geben.«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Wir leben in einer alles andere als vollkommenen Welt«, gab ich zu bedenken.
    »Hm.«
    »Wir könnten uns auf ein Unentschieden einigen«, bot ich an. »Keiner hat gewonnen, keiner hat verloren.«
    »Ich finde das ästhetisch unbefriedigend.«
    »Bei vielen anderen Spielen haut es ganz gut hin.«
    »Außerdem habe ich Hunger bekommen.«
    »Die Wahrheit steigt an die Oberfläche.«
    »Aber ich bin nicht unfair. Ich diene der Wahrheit, auf meine Weise. Deine Erwähnung eines Gleichstandes wirft die Möglichkeit einer Lösung auf.«
    »Gut. Ich bin froh, daß die Dinge...«
    »Nämlich die eines Entscheidungsspiels. Gib du mir ein Rätsel auf.«
    »Das ist Unsinn«, erwiderte ich. »Ich habe keine Rätsel auf Lager.«
    »Dann laß dir besser schnell eines einfallen. Denn das ist der einzige Ausweg aus deiner mißlichen Lage - andernfalls werde ich in meiner Eigenschaft als Schiedsrichter dich zum Verlierer erklären.«
    Ich schwenkte die Arme und machte einige tiefe Kniebeugen. Mein Körper fühlte sich an, als ob er in Flammen stünde. Ich fühlte mich außerdem kräftiger.
    »Also gut«, sagte ich. »Gut. Nur noch eine Sekunde.«
    Was, zum Teufel...
    »Was ist grün und rot und dreht sich rundherum und immer wieder rundherum?«
    Die Sphinx blinzelte zweimal, dann runzelte sie die Stirn. Ich benutzte die folgende Zeit für einige weitere tiefe Atemzüge und ein paar Laufschritte auf der Stelle. Die Flammen wurden schwächer, mein Denken klärte sich, der Puls ging gleichmäßiger...
    »Nun?« fragte ich nach einigen Minuten.
    »Ich überlege.«
    »Laß dir ruhig Zeit.«
    Ich übte mich im

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