Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts
begegnet?«
»Nein.«
»Haben Sie irgendeine Vermutung?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Und warum dann dieses Walpurgisnacht-Theater? Ich verstehe zwar, daß ein bestimmtes Datum für einen Psychopathen eine Bedeutung haben kann, und ich verstehe, daß bei verschiedenen primitiven Religionen der Jahreszeitenwechsel eine wichtige Rolle spielt. Aber S erscheint mir zu planmäßig vorzugehen, als daß man einen Geisteskranken dahinter vermuten könnte. Und was den anderen...«
»Melman hielt es für wichtig.«
»Ja, aber er beschäftigte sich auch mit solchem Zeug. Es würde mich wundern, wenn er nicht mit einem solchen Zusammenhang dahergekommen wäre, ob er beabsichtigt war oder nicht. Sein Meister hatte ihm niemals gesagt, daß das der Fall sei. Es war seine eigene Idee. Aber Sie sind schließlich derjenige, der sich auf diesem Gebiet auskennt. Kennen Sie irgendeine besondere Bedeutung oder gibt es eine Macht, die man dadurch erlangt, daß man jemanden vom eigenen Blut zu dieser speziellen Zeit im Jahr umbringt?«
»Nicht daß ich wüßte. Aber natürlich gibt es viele Dinge, von denen ich nichts weiß. Ich bin noch sehr jung im Vergleich zu den meisten Adepten. Doch in welcher Richtung beabsichtigen Sie weiterzuforschen? Sie glauben nicht, daß es sich um einen Wahnsinnigen handelt, aber die Walpurgis-Geschichte kaufen Sie auch nicht ab.«
»Ich weiß nicht. Ich denke einfach nur laut. Beides kann ich mir nicht recht vorstellen. Da fällt mir ein: Die französische Fremdenlegion gab allen Männern am 30. April frei, damit sie sich betrinken konnten, und danach noch ein paar Tage, damit sie wieder nüchtern wurden. Es ist der Jahrestag der Schlacht von Kamerun, einer ihrer größten Triumphe. Aber ich bezweifle, daß uns das weiterbringt.
Und warum die Sphinx?« fragte er plötzlich. »Warum ein Trumpf, der Sie irgendwohin verschleppt, damit Sie blöde Rätsel austauschen oder sich den Kopf abbeißen lassen?«
»Ich hatte so ein Gefühl, als sei mehr das letztere beabsichtigt gewesen.«
»Das glaube ich auch irgendwie. Aber auf jeden Fall ist das Ganze recht eigenartig. Wissen Sie was? Ich wette, die ganzen Karten sind so etwas ... wie Fallen.«
»Könnte sein.«
Ich schob die Hand in die Tasche und griff danach.
»Lassen Sie sie!« sagte er. »Wir wollen keine Scherereien heräufbeschwören. Vielleicht sollten Sie sie ruhenlassen, zumindest für eine Weile. Ich könnte sie in meinem Safe unterbringen, im Büro.«
Ich lachte.
»Safes sind nicht allzu sicher. Nein, danke. Ich möchte sie bei mir tragen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sie gefahrlos unter die Lupe zu nehmen.«
»Sie sind der Fachmann. Aber sagen Sie, könnte etwas aus der Darstellung auf der Karte entschlüpfen, ohne daß Sie...«
»Nein. Dafür sind sie nicht geschaffen. Sie erfordern Aufmerksamkeit, um zu funktionieren. Und zwar mehr als nur ein bißchen.«
»Das ist immerhin etwas. Ich...«
Er sah sich wieder nach hinten um. Jemand näherte sich. Meine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten.
Dann hörte ich, wie er einen langen Atemzug ausließ.
»Alles in Ordnung«, sagte er. »Ich kenne den Mann.
Es ist George Hansen. Er ist der Sohn des Besitzers des landwirtschaftlichen Anwesens, hinter dem wir uns befinden. Hallo, George!«
Die sich nähernde Gestalt winkte. Es war ein mittelgroßer Mann von stämmigem Körperbau und mit sandfarbenem Haar. Er trug Levi's Jeans und ein Grateful-Dead-T-Shirt, in dessen linken Ärmel eine Packung Zigaretten eingedreht war. Er sah wie Mitte Zwanzig aus.
»Hallo«, sagte er, während er auf uns zu trat. »Toller Tag, was?«
»Und ob«, antwortete Bill. »Deshalb sind wir im Freien und gehen spazieren, anstatt zu Hause rumzusitzen.«
Georges Blick wanderte zu mir.
»Ich auch«, sagte er und schob die Zähne über die Unterlippe. »Ein echt schöner Tag.«
»Das ist Merle Corey. Er ist bei mir zu Besuch.«
»Merle Corey«, wiederholte George und streckte die Hand aus. »Hallo, Merle.«
Ich nahm sie und schüttelte sie. Sie war ein klein wenig feucht.
»Sagt dir der Name etwas?«
»Äh... Merle Corey«, wiederholte er noch einmal.
»Du kanntest seinen Vater.«
»Ja? Ach ja, sicher.«
»Sam Corey«, ergänzte Bill und warf mir über Georges Schulter hinweg einen Blick zu.
»Sam Corey«, plapperte George nach. »Ein Teufelskerl! Freut mich, Sie kennenzulernen. Bleiben Sie lange hier?«
»Ein paar Tage, schätze ich«, antwortete ich. »Ich wußte gar nicht, daß Sie
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