Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts
noch durch sein Gehirn hätte laufen lassen sollen. Während ich ständig neue Nieten zog, war er derjenige, der unser Fortsetzungsgespräch wieder aufnahm.
»Da ist noch etwas«, fing er an.
»Ja?«
»Dan Martinez begann das Gespräch mit Ihnen, indem er sich auf Lukes Bemühungen bezog, Investoren für eine Art Computerfirma aufzutreiben. Später hatten Sie das Gefühl, daß das Ganze eine Finte war, um Sie aus der Reserve zu locken und dann mit der Frage nach Amber und Chaos zuzuschlagen.«
»Richtig.«
»Aber andererseits hat Luke ja wirklich die Sprache darauf gebracht, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Er beteuerte jedoch beharrlich, noch mit keinen potentiellen Investoren Verbindung aufgenommen oder noch nie etwas von Dan Martinez gehört zu haben. Als er den Mann später tot zu Gesicht bekam, blieb er weiterhin bei seiner Aussage, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben.«
Ich nickte.
»Also hat Luke entweder gelogen, oder Martinez hatte irgendwie von seinen Plänen erfahren.«
»Ich glaube nicht, daß Luke gelogen hat«, entgegnete ich. »Tatsächlich habe ich das Ganze noch einmal gründlich durchdacht. So wie ich ihn kenne, wäre Luke wirklich nicht herumgelaufen und hätte Investoren gesucht, bevor er eine todsichere Sache gehabt hätte, in die man Geld stecken konnte. Ich bin überzeugt davon, daß er auch in dieser Hinsicht die Wahrheit gesagt hat. Mir scheint es wahrscheinlicher, daß dies vielleicht der einzige wahrhaftige Zufall bei dem bisher Geschehenen war. Ich habe den Verdacht, daß Martinez einiges von Luke wußte und nun noch dieses letzte Stück Information über ihn haben wollte - sein Wissen über Amber und die Burgen betreffend. Ich halte ihn für einen abgefeimten Kerl, und auf der Grundlage dessen, was er bereits wußte, konnte er eine Geschichte erfinden, die mir plausibel erscheinen mußte, zumal er auch wußte, daß ich in derselben Firma gearbeitet hatte wie Luke.«
»Das ist durchaus möglich«, sagte er. »Aber wenn Luke wirklich...«
»Allmählich gelange ich zu der Ansicht«, unterbrach ich ihn, »daß auch Lukes Geschichte erfunden war.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Ich glaube, er hat sie sich ausgedacht, ebenso wie Martinez die seine, und zwar aus ähnlichen Gründen -damit sie sich für meine Ohren plausibel anhörte und er auf diese Weise an Informationen gelangte, auf die er scharf war.«
»Sie überfordern mich. Welche Informationen?«
»Über mein Geistrad. Er wollte wissen, worum es sich dabei handelt.«
»Und er war enttäuscht, als er erfuhr, daß es lediglich eine Übung in ausgefallener Konstruktion war und keineswegs dem Zweck einer Firmengründung diente.«
Bill bemerkte mein Lächeln, als ich nickte.
»Steckt noch etwas dahinter?« Dann fuhr er fort: »Warten Sie! Sagen Sie es mir nicht. Auch Sie haben gelogen. Es ist doch ein echtes Projekt.«
»Ja.«
»Ich sollte das wahrscheinlich gar nicht fragen - es sei denn, sie halten es für wesentlich und wollen es mir erzählen. Wenn es etwas Großes und sehr Wichtiges ist, dann könnte man es aus mir herausquetschen, wissen Sie. Ich habe eine sehr niedrige Toleranzschwelle für Schmerzen. Denken Sie darüber nach.«
Ich tat es. Eine Zeitlang saß ich grübelnd da.
»Vielleicht könnte es so sein«, sagte ich schließlich, »auf eine abwegige Weise, die Sie bestimmt nicht im Sinn gehabt haben, davon bin ich überzeugt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß es - wie Sie sagen -wesentlich sein könnte. Nicht für Luke und auch sonst für niemanden. Denn niemand außer mir weiß, worum es dabei geht. Nein. Ich wüßte nicht, wie es über Lukes Neugier hinaus in die Gleichung passen könnte. Deshalb denke ich, ich werde Ihrem Vorschlag folgen und es aus den Akten herauslassen.«
»Soll mir sehr recht sein«, sagte er. »Dann ist da noch die Sache mit Lukes Verschwinden...«
Im Haus läutete ein Telefon.
»Entschuldigen Sie mich, bitte«, sagte Bill.
Er erhob sich und ging in die Küche.
Einen Moment später hörte ich ihn rufen: »Merle, es ist für Sie!«
Ich stand auf und ging hinein. Ich warf ihm beim Eintreten einen fragenden Blick zu, und er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Ich dachte schnell nach und rief mir die Stellen ins Gedächtnis, wo die beiden anderen Telefone im Haus standen. Ich deutete auf ihn, deutete in die Richtung seines Arbeitszimmers und stellte pantomimisch das Aufnehmen des Hörers und das Ans-Ohr-Halten dar. Er lächelte leicht und
Weitere Kostenlose Bücher