Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts
ebenfalls durch den Kopf gegangen.«
»Hören Sie, warum machen wir ihm nicht ein wenig Dampf?«
»Wie denn?«
»Er hörte sich ziemlich nervös an, und ich glaube, ihm gefiel Ihr Vorschlag ebensowenig wie mir. Lassen Sie uns bei seinem nächsten Anruf einfach nicht da sein. Er soll nicht den Eindruck bekommen, daß wir nur herumsitzen und auf das Läuten des Telefons warten. Wir lassen ihn etwas warten. Beschwören Sie ein paar neue Sachen zum Anziehen herbei, und dann fahren wir für ein paar Stunden aufs Land in meinen Klub. Es wird ein Vergnügen sein, den Kühlschrank zu plündern.«
»Gute Idee«, sagte ich. »Dies sollte eigentlich ein Urlaub sein, so war es anfangs gedacht. Wahrscheinlich ist das die äußerste Annäherung daran, die mir vergönnt ist. Hört sich gut an.«
Ich erneuerte meine Garderobe durch Kleidung, die ich aus dem Schatten herbeirief, stutzte mir den Bart, duschte und zog mich an. Dann fuhren wir zum Klub und nahmen in gelöster Stimmung eine Mahlzeit auf der Terrasse ein. Es war ein idealer Abend dafür, mild und mit einem Himmel voller Sterne, eingetaucht in milchiges Mondlicht. In beiderseitiger Übereinstimmung sahen wir davon ab, meine Probleme weiter zu diskutieren. Bill kannte offenbar so ziemlich jeden dort, und so machte der Ort auf mich einen recht freundlichen Eindruck. Es war für mich der erholsamste Abend seit langer Zeit. Später besuchten wir für einen Drink die Klub-Bar, die meiner Einschätzung nach einer der Lieblings-Kurorte meines Vaters gewesen sein mußte, und Klangfetzen von Tanzmusik drangen durch die Tür zum angrenzenden Raum herüber.
»Ja, das war eine sehr gute Idee«, sagte ich. »Danke.«
»De nada«, sagte er. »Ich habe so manche angenehme Stunde hier mit Ihrem Dad verbracht. Sie haben nicht zufällig...?«
»Nein, ich habe nichts von ihm gehört.«
»Tut mir leid.«
»Ich sage Ihnen Bescheid, wenn er auf taucht.«
»Danke. Tut mir leid.«
Die Rückfahrt verlief ereignislos, und niemand folgte uns. Wir kamen kurz nach Mitternacht zu Hause an, und ich begab mich gleich in mein Zimmer. Ich schlüpfte aus meinem neuen Jackett und hängte es in den begehbaren Schrank; dann schleuderte ich die Schuhe von den Füßen und ließ sie dort liegen, wo sie landeten. Als ich in den Raum zurückkam, bemerkte ich das weiße Rechteck auf dem Kopfkissen in meinem Bett.
Ich durchquerte das Zimmer mit zwei großen Schritten und schnappte es mir.
LEIDER WAREN SIE NICHT DA, ALS ICH ANRIEF, Stand da in Blockbuchstaben, ich habe sie aber im klub gesehen UND KANN SEHR GUT VERSTEHEN, DASS SIE LUST HATTEN, EINMAL EINEN ABEND AUSZUGEHEN. DAS BRACHTE MICH AUF EINE IDEE. WIR KÖNNTEN UNS DORT IN DER BAR TREFFEN, MORGEN ABEND UM ZEHN. ICH HÄTTE EIN BESSERES GEFÜHL, WENN VIELE MENSCHEN UM UNS HERUM SIND, OHNE DASS JEMAND ZUHÖRT.
Verdammt! Mein erster Impuls war, zu Bill zu gehen und es ihm zu erzählen. Mein erster Gedanke, der dem Impuls folgte, war jedoch der, daß er nichts tun konnte, außer daß er um seinen Schlaf kam, und den brauchte er vermutlich dringender als ich. Also faltete ich den Zettel zusammen und verstaute ihn in der Hemdtasche; dann hängte ich das Hemd auf.
Ich wurde nicht einmal von einem Alptraum heimgesucht, der Leben in meinen Schlummer gebracht hätte. Ich schlief tief und gut, in dem Bewußtsein, daß Frakir mich im Fall von Gefahr wecken würde. Tatsächlich verschlief ich, und ich fühlte mich gut. Der Morgen war sonnig, und die Vögel sangen.
Ich ging nach unten in die Küche, nachdem ich mich mit Wasser bespritzt und in Form gekämmt hatte und den Schatten nach einer frischen Freizeithose und einem entsprechenden Hemd durchwühlt hatte. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel mit einer Nachricht. Ich hatte es satt, Zettel mit Nachrichten zu finden, aber dieser hier war von Bill, und darauf stand, daß er in die Stadt fahren und einige Zeit in seinem Büro verbringen müsse, und ich solle mich mit allem bedienen, wonach mich zum Frühstück gelüste. Er werde in Kürze zurück sein.
Ich durchsuchte den Kühlschrank und wurde mit einigen englischen Muffins, einem Stück Kantalupe und einem Glas Orangensaft fündig. Etwas Kaffee, den ich zuallererst aufgesetzt hatte, war fertig, kurz nachdem ich aufgegessen hatte, und ich nahm eine Tasse mit hinaus auf die Veranda.
Dort saß ich dann und überlegte, ob ich nicht vielleicht meinerseits eine Notiz hinterlassen und weiterziehen sollte. Mein geheimnisvoller Schreibpartner -möglicherweise S -
Weitere Kostenlose Bücher