Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts
Begleitung zuwandte.
Kurz darauf kam der Barmann zu mir. Auch er erinnerte sich vom vergangenen Abend an mich, denn er fragte, ob Bill irgendwo in der Nähe sei.
Ich ließ mir von ihm ein Bier geben und zog mich damit an den abgeschiedensten Tisch zurück, wo ich mich sozusagen am Glas festhielt, den Rücken zur Wand, hin und wieder zur Uhr sah und die beiden Eingänge des Raumes abwechselnd beobachtete. Wenn ich mich anstrengte, konnte ich Fionas Anwesenheit spüren.
Zweiundzwanzig Uhr kam und ging. Ebenso einige Gäste, neue und alte. Keiner von ihnen schien sich besonders für mich zu interessieren, obwohl meine eigene Aufmerksamkeit von einer jungen Dame ohne Begleitung, mit hellem Haar und einem kameenartigen Profil in Anspruch genommen wurde; damit war die Ähnlichkeit aber auch schon erschöpft, denn Kameen lächeln nicht, und sie tat es, als sie mich zum zweiten Mal ansah, kurz bevor sie den Blick wieder abwandte. Verdammt, dachte ich, warum muß ich ausgerechnet in eine Leben-und-Tod-Situation eingebunden sein? Unter fast allen anderen Umständen hätte ich mein Bier ausgetrunken, wäre zur Bar gegangen, um mir ein zweites zu holen, hätte ein paar Höflichkeiten von mir gegeben und sie dann gefragt, ob sie Lust hätte, sich zu mir zu gesellen. Tatsächlich...
Ich sah zur Uhr.
22.20.
Wieviel mehr Zeit sollte ich der geheimnisvollen Stimme geben? Sollte ich einfach von der Annahme ausgehen, daß es George Hansen gewesen war und daß er aufgegeben hatte, als er mein Verschwinden bemerkt hatte? Wieviel länger würde die Dame noch hier verweilen?
Ich brummte leise vor mich hin. Bleib bei deinen Leisten! Ich begutachtete ihre schmale Taille, die Rundung ihrer Hüften, ihre gestrafften Schultern...
22.23.
Ich stellte fest, daß mein Glas leer war. Ich ging, um es erneut füllen zu lassen. Pflichtbewußt beobachtete ich, wie der Pegel in dem Glaskrug stieg.
»Ich habe beobachtet, wie Sie dasitzen«, hörte ich sie sagen. »Erwarten Sie jemanden?«
Sie roch stark nach einem fremdartigen Parfüm.
»Ja«, sagte ich. »Aber allmählich glaube ich, es ist zu spät.«
»Ich habe ein ähnliches Problem«, sagte sie, und ich wandte mich zu ihr um. Sie lächelte wieder. »Wir könnten ja gemeinsam warten«, schloß sie.
»Bitte, setzen Sie sich zu mir«, forderte ich sie auf. »Es würde mir viel mehr Spaß machen, die Zeit mit Ihnen zu verbringen.«
Sie holte ihren Drink und folgte mir zu meinem Tisch.
»Ich heiße Merle Corey«, sagte ich, sobald wir Platz genommen hatten.
»Ich bin Meg Devlin. Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
»Ich bin nur Besucher. Sie nicht, nehme ich an.«
Sie schüttelte leicht den Kopf.
»Leider nicht. Ich wohne in der neuen Apartment-Anlage etwas weiter die Straße rauf.«
Ich nickte, als ob ich wüßte, wo diese lag.
»Woher kommen Sie?« wollte sie wissen.
»Vom Mittelpunkt des Universums«, sagte ich und fügte dann schnell hinzu: »Aus San Francisco.«
»Oh, ich habe lange Zeit dort gelebt. Was machen Sie beruflich?«
Ich widerstand dem unvermittelten Drang, ihr zu sagen, ich sei Magier, und gab statt dessen eine Beschreibung meiner letzten Beschäftigung bei Grand Design. Sie, so erfuhr ich im Austausch, war Model gewesen, dann Einkäuferin für ein großes Kaufhaus und später Geschäftsführerin einer Boutique.
Ich sah zur Uhr. Es war 22.45. Sie bemerkte meinen Blick.
»Ich glaube, wir sind beide versetzt worden«, sagte sie.
»Wahrscheinlich«, stimmte ich zu, »aber wir sollten den anderen bis elf Zeit lassen, um uns anständig zu verhalten.«
»Vielleicht haben Sie recht.«
»Haben Sie schon gegessen?«
»Vor einiger Zeit.«
»Hungrig?«
»Ein bißchen. Und Sie?«
»Hm-hm. Ich habe gesehen, daß vorhin einige Leute hier was gegessen haben. Ich werde mal fragen.«
Ich erfuhr, daß wir Sandwiches haben könnten, also bestellte ich zwei, mit etwas Salat garniert.
»Ich hoffe, Ihre Verabredung schloß kein spätes Essen mit ein«, sagte ich plötzlich.
»Es wurde nicht darüber gesprochen, und mir ist es egal«, antwortete sie und nahm gleich darauf einen Bissen.
Dreiundzwanzig Uhr kam und ging. Ich trank mein Glas aus, nachdem ich aufgegessen hatte, und wollte eigentlich nichts mehr trinken.
»Zumindest war der Abend kein vollkommener Flop«, sagte sie, während sie ihre Serviette zusammenfaltete und beiseite legte.
Ich beobachtete ihre Wimpern, weil das eine angenehme Beschäftigung war. Sie trug sicher nur wenig oder sehr helles Make-up. Es war
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