Amber-Zyklus 08 - Zeichen des Chaos: der Titel
wissen.
»Ich bin noch nicht bis zu diesem Teil der Geschichte gelangt.«
Doch sie erwachte lebhaft in meinem Gedächtnis, als wir an den Ort kamen, wo sie sich abgespielt hatte. Es waren keine Anzeichen jener Auseinandersetzung mehr sichtbar.
Ich wäre jedoch beinahe an der Kneipe vorbeigegangen, die einst der Blutige Bill gewesen war, denn ein neues Schild hing über der Tür. Darauf stand Blutiger Andy in frischen grünen Buchstaben. Im Innern war jedoch alles unverändert, mit Ausnahme des Mannes hinter der Theke, der größer und dünner war als das abgerissene Individuum mit dem zerfurchten Gesicht, das mich beim letztenmal bedient hatte. Sein Name, so erfuhr ich, war Jak, und er war Andys Bruder. Er verkaufte uns ein Flasche von Bayles Pisse und schob eine Bestellung über zwei Fischgerichte durch eine Durchreiche in der Wand. Mein damaliger Tisch war frei, und wir nahmen Platz. Ich legte meinen Schwertgürtel auf dem Stuhl zu meiner Rechten ab, die Klinge halb gezogen, wie es meiner Erfahrung nach die Etikette hier erforderte.
»Mir gefällt dieses Etablissement«, sagte sie. »Es ist... irgendwie anders.«
»Ahm... ja«, pflichtete ich bei, während mein Blick auf zwei weggetretene Betrunkene fiel - einer im vorderen Teil des Gastraumes, einer im hinteren - sowie auf drei schielende Gestalten, die sich in einer Ecke mit gedämpften Stimmen unterhielten. Den Boden zierten einige zerbrochene Flaschen und verdächtig aussehende Flecken, und die Wand uns gegenüber war mit einem nicht allzu künstlerischen Werk amourösen Inhalts geschmückt. »Das Essen ist nicht schlecht«, fügte ich hinzu.
»Ich war noch nie in einem Restaurant wie diesem«, stellte sie fest, während sie eine Katze beobachtete, die aus einem hinteren Raum hereinhuschte und einen Ringkampf mit einer riesigen Ratte ausfocht.
»Es hat seine feste, unerschütterlich begeisterte Kundschaft, aber es ist auch ein Geheimtip unter erfahrenen Feinschmeckern.«
Ich fuhr mit meiner Erzählung fort, während wir ein Mahl zu uns nahmen, das noch jenes übertraf, das ich in Erinnerung hatte. Als sich geraume Zeit später die Tür öffnete und einen kleinen Mann mit einem verletzten Bein und einem schmutzigen Verband um den Kopf einließ, bemerkte ich, daß das Tageslicht bereits dämmerte. Ich war soeben mit meiner Geschichte zu Ende gekommen, und es erschien mir die richtige Zeit zum Aufbruch zu sein.
Ich äußerte mich in diesem Sinne, doch sie legte ihre Hand auf meine.
»Ihr wißt, daß ich nicht die von Euch angesprochene Wesenheit bin«, sagte sie, »aber wenn Ihr irgendeine Art von Hilfe braucht, die ich leisten kann, bin ich dazu bereit.«
»Ihr seid eine gute Zuhörerin«, sagte ich. »Danke. Jetzt sollten wir besser den Heimweg antreten.«
Wir brachten die Totengasse ohne Zwischenfall hinter uns und gingen entlang der Hafenstraße bis nach Weinheim. Die Sonne machte sich zum Aufgehen bereit, als wir den Aufstieg begannen, und die Farben der Pflastersteine wiesen alle Nuancen einer Palette leuchtender Erd- und feiner Pastelltöne auf. Der Verkehr an Fahrzeugen und Fußgängern war mäßig. Kochgerüche hingen in der Luft; Blätter wurden raschelnd durch die Straßen geweht; ein kleiner gelber Drache ritt auf den Luftströmungen hoch oben; Vorhänge aus Regenbogenlicht kräuselten sich weit im Norden jenseits des Palastes. Ich wartete weiterhin darauf, daß Coral noch mehr Fragen stellen würde als die wenigen, die bis jetzt von ihr gekommen waren. Doch sie blieben aus. Ich glaube, wenn ich soeben meine Geschichte gehört hätte, hätte ich jede Menge Fragen nachzuschieben gehabt, es sei denn, ich wäre davon vollkommen überwältigt gewesen oder hätte sie irgendwie durch und durch verstanden.
»Wenn wir in den Palast zurückkehren...«, setzte sie an.
»Ja?«
»Dann werdet Ihr mir doch das Muster zeigen, nicht wahr?«
Ich lachte.
...Es sei denn, mein Denken ist dann gerade von etwas anderem mit Beschlag belegt.
»Gleich als erstes? Sobald wir durch das Portal getreten sind?«
»Ja.«
»Aber sicher«, sagte ich.
Dann sagte sie, beinahe zu sich selbst: »Eure Geschichte hat mein Weltbild verändert, und ich möchte es mir nicht anmaßen, Euch einen Rat zu geben...«
»... aber...«, setzte ich ihren Satz fort.
»...es scheint mir, daß der Hort der Vier Welten die Antworten enthält, nach denen Ihr sucht. Alles andere fügt sich vielleicht zu einem Ganzen zusammen, wenn Ihr erfahrt, was dort geschieht. Aber ich verstehe
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