Amber-Zyklus 10 - Prinz des Chaos: der Titel
beschützen. Was hat er gesagt?«
»Daß er mich von dort, wo ich war, wegbringen wollte.«
Sie nickte.
»Was er offensichtlich getan hat«, bemerkte sie. »Hat er sonst noch etwas geäußert? Ist sonst noch etwas geschehen, das von Wichtigkeit sein könnte?«
»Er hat sich nach dir erkundigt.«
»Ach ja? Das war alles?«
»Er hatte keine besondere Nachricht für dich, wenn du das meinst.«
»Ich verstehe.«
Sie wandte den Blick ab und schwieg eine Zeitlang. Dann fuhr sie fort: »Diese Geister haben keine besonders lange Daseinsdauer, nicht wahr?«
»Nein«, antwortete ich.
»Es macht mich überaus wütend«, sagte sie schließlich, »wenn ich mir vorstelle, daß er trotz allem immer noch in der Lage ist, bei dieser Sache mitzumischen.«
»Er lebt doch noch, Mutter, nicht wahr?« sagte ich. »Und du weißt, wo er ist.«
»Ich bin nicht seine Bewacherin, Merlin.«
»Ich denke doch, daß du das bist.«
»Es ist eine Frechheit von dir, mir auf diese Weise zu widersprechen.«
»Ich kann nicht anders«, erwiderte ich. »Ich habe mich von ihm verabschiedet, als er sich auf den Weg zu den Burgen machte. Zweifellos wollte er mit den anderen hier sein, um den Friedensverhandlungen beizuwohnen. Und noch viel größer muß sein Wunsch gewesen sein, dich zu sehen. Er trägt so viele unbeantwortete Fragen mit sich herum - woher du gekommen bist, warum du zu ihm gekommen bist, warum du dich von ihm getrennt hast...«
»Genug!« schrie sie. »Hör auf damit!«
Ich beachtete sie nicht.
»Und ich weiß, daß er hier in den Burgen war. Man hat ihn gesehen. Bestimmt hat er dich aufgesucht. Was geschah bei eurer Begegnung? Welche Antworten hast du ihm gegeben?«
Sie stand auf und sah mich eindringlich an.
»Damit ist unsere Unterhaltung beendet, Merlin«, sagte sie. »Anscheinend ist es unmöglich, mit dir ein zivilisiertes Gespräch zu führen.«
»Ist er dein Gefangener, Mutter? Hast du ihn irgendwo eingesperrt, wo er dir nicht in die Quere kommen, deine Pläne nicht durchkreuzen kann?«
Sie entfernte sich mit hastigen Schritten vom Tisch, wobei sie beinahe gestolpert wäre.
»Ungeratenes Kind!« schrie sie. »Du bist genau wie er! Warum nur mußtest du ihm so ähnlich werden?«
»Du hast Angst vor ihm, nicht wahr?« sagte ich, da ich plötzlich erkannte, daß dies sehr gut der Fall sein konnte. »Du hast Angst, einen Prinzen von Amber zu töten, selbst mit dem Logrus an deiner Seite. Du hast ihn irgendwo eingesperrt, und du hast Angst, er könnte sich befreien und deine neuesten Pläne zunichte machen. Du trägst diese Angst seit einer langen Zeit mit dir herum, und zwar wegen der Dinge, die du tun mußtest, um ihn außer Gefecht zu setzen.«
»Unverschämtheit!« keifte sie entrüstet und wich noch weiter zurück, während ich um den Tisch herumging. Ihr Gesicht zeigte jetzt den Ausdruck echter Angst. »Du ergehst dich lediglich in allerlei Mutmaßungen!« fuhr sie fort. »Er ist tot, Merlin. Gib auf! Laß mich in Ruhe! Erwähne seinen Namen niemals mehr in meiner Gegenwart! Ja, ich hasse ihn. Er hätte uns am liebsten allesamt vernichtet. Und er würde es immer noch liebend gerne tun, wenn er könnte!«
»Er ist nicht tot«, sagte ich.
»Wie kannst du das behaupten?«
Ich widerstand dem Drang ihr zu sagen, daß ich mit ihm gesprochen hatte.
»Nur jemand, der sich mit Schuld beladen hat, widerspricht so heftig«, sagte ich. »Er lebt. Wo ist er?«
Sie hob die Hände, die Handflächen nach innen gerichtet, und überkreuzte sie vor der Brust, wobei sie die Ellbogen gesenkt hielt. Die Angst war verflogen, der Zorn war verflogen. Als sie erneut sprach, schien ihre Gemütsverfassung mehr von Spott als von allem anderen bestimmt zu sein. »Dann such ihn doch, Merlin. Um alles in der Welt, such ihn doch!«
»Wo?« fragte ich.
»Suche in der Grube des Chaos.«
Eine Flamme loderte neben ihrem linken Fuß auf, begann ihren Körper entgegen dem Uhrzeigersinn zu umkreisen, wand sich spiralförmig nach oben und ließ einen rötlichen Feuerschweif hinter sich. Als sie den oberen Teil ihres Kopfes erreicht hatte, war sie vollständig davon eingehüllt. Dann erlosch sie mit einem leisen Puffen und nahm sie mit sich.
Ich trat ein paar Schritte vor und kniete nieder, um die Stelle abzutasten, wo sie gestanden hatte. Sie war etwas warm, sonst nichts. Ein nettes Zauberkunststückchen, das mir leider nie jemand beigebracht hatte. Wenn ich rückblickend darüber nachdenke, dann wird mir bewußt, daß Ma schon immer eine
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