Ambient 02 - Heidern
Macht.« Doch, er könne mich ins Heim schicken, und ich würde meine Eltern und Brüder oder Schwestern nie wiedersehen. »Ich habe keinen Bruder.« Ob ich wüßte, was mit kleinen Mädchen in Heimen passiert? Da legte ich auf. Es klingelte gleich wieder. Ich wußte, daß er wieder dran war, nahm aber trotzdem ab, weil ich nicht wollte, daß er Mama oder Pappi aufweckt. Vergewaltigung. Kleine Mädchen würden im Heim vergewaltigt. Meine Eltern sollten also besser ihre Schulden bezahlen. Da nahm Pappi im Schlafzimmer den Hörer ab, und ich hörte seine Stimme fragen, wer dran sei. Ich legte auf und konnte ihn brüllen hören, dann knallte er den Hörer dermaßen auf die Gabel, daß ich fürchtete, sie bricht. Mama eilte aus dem Schlafzimmer zu mir auf die Couch.
»O Schnuckelchen, was hat er zu dir gesagt?« Eigentlich hätte ich ihr sagen sollen, was er gesagt hat, aber ich tat es nicht. »Nichts.«
»Schau mich an, was hat der fürchterliche Mensch zu dir gesagt?«
»Ihr sollt die Rechnungen bezahlen.«
»Nichts weiter? Keine Drohungen?« Ich schüttelte den Kopf. Mir ist immer noch nicht klar, warum ich ihr nicht sagen wollte, was der Kerl zu mir gesagt hat, das mit der Vergewaltigung in den Heimen. Wie er es gesagt hat, macht mir angst. Ich wette, er hat Mädchen, die er zur Pflege hatte, vergewaltigt. Mama umarmte mich und sagte, es tue ihr leid.
»Warum leistet ihr nicht wieder einen Offenbarungseid?« fragte ich.
»O mein Liebes, wenn wir das noch einmal machen, nehmen sie uns alles und für immer.«
»Dann werden sie weiter anrufen.«
»Michael hat das Telefon ausgesteckt. Heute werden wir also Ruhe haben. Und von nun an gehen nur noch wir ans Telefon, abgemacht?«
»Abgemacht.«
Sie ging wieder ins Schlafzimmer. Ich habe sie noch eine Weile herumschreien hören, aber nicht mitbekommen wollen, um was es geht. Eine Weile hörte ich der Musik im Radio zu, das ich eingeschaltet hatte. Boob wachte auf, kam auch in die Küche und machte dumme Tanzfiguren. »Ich Hiphoppe. Ist es wild genug?«
»Wir hören keinen Rap. Das ist klassische Musik.«
»Hört her, ich bin die Königin des Rap, bin Cheryl Cherifah«, sang Boob, bis sie vor Erschöpfung zu Boden fiel. Sie ist also wieder auf dem Damm.
Mama kam aus dem Schlafzimmer und richtete das Frühstück. Wir tranken Milch, wärmten Muffins auf und aßen Erdbeermarmelade dazu. Dann haben wir uns angezogen. »Wir werden uns heute höllisch amüsieren, meine Gänschen, und die ordinären Sorgen dieser Welt einfach ignorieren.« Dann erschien Pappi. Die beiden vertrugen sich anscheinend wieder, da sie sich wie üblich kurz umarmten. Auch Pappi legte seinen Arm um meine Schulter und entschuldigte sich für den Anruf. »Es geht schon wieder«, beruhigte ich ihn, obwohl nichts schon wieder ging. Was der Kreditheini gesagt hat, beunruhigt mich tief, aber Pappi kann dagegen nichts machen. Niemand wird uns ins Heim verfrachten. Und wenn doch, würden sie das bei mir nicht schaffen, selbst wenn sie es mit Gewalt probierten.
Als wir ausgingen, steckte Mama das Telefon wieder ein. Wir waren noch nicht zur Türe raus, als es schon wieder klingelte. Pappi ging ran, weil er glaubte, es könnte ein Anruf sein, auf den er die ganze Zeit wartet. Fehlanzeige. Es war der Kreditmensch. Pappi legte auf.
Wir gingen durch den Park. Es war schön draußen. Im Met sahen wir uns die Ausstellung mit Maurischer Kunst an, die dort gerade läuft. Boob benahm sich ordentlich, wie immer in Museen. Ich achtete mehr auf die anderen Leute in der Ausstellung und versuchte mir vorzustellen, ob sie vielleicht in einer ähnlichen Klemme steckten wie wir. Die meisten sahen eigentlich nach Schwierigkeiten aus, aber man weiß ja nie.
Auf dem Dachgarten drängelten sich alle Leute auf der Seite zur Fifth Avenue hin. Durch die Querstraßen und über den Dächern der anderen Gebäude sahen wir große, schwarze Rauchwolken über Brooklyn und Queens aufsteigen. Der Himmel war finster wie vor einem schweren Gewitter. Eigentlich konnte keiner was sehen, aber alle starrten hinüber. Dann erblickten wir Flämmchen, wie Glühwürmchen so klein. Boob fragte: »Was ist denn das?« Ein Mann sagte, das seinen die Ausschreitungen. Das seien Tiere, die man wegbomben sollte, meinte ein anderer. »Donnert es jetzt?« fragte wieder Boob. Wir hören Gewehrfeuer, sagte Pappi. Geschütze, Mörser, meinte jemand anderes. Wieder ein anderer sagte, daß die Armee eingreifen müsse, wenn die Civil Guard der Lage nicht
Weitere Kostenlose Bücher