Ambient 02 - Heidern
noch zu früh für meine Tage. Falsch getippt. Mama wollte wissen, warum ich gestern so grantig war. Jetzt wissen wir es. »Es wird wohl der Streß sein, Liebes.«
»Was auch immer.«
»Hätte ich dieses Los noch zu erdulden, mir ginge es bestimmt nicht anders, aber ich bin nur noch eine vertrocknete Hülse.«
»Bist du nicht.«
»Ach Engel, schön, daß du das sagst, aber es stimmt schon.«
So wurde jedenfalls an diesem Nachmittag nichts aus unserem Spaziergang Richtung Heimat. Mir war nicht danach, außerdem ahnte ich, daß etwas passiert. Und es passierte etwas. Wir gingen am Morgen zur Haltestelle, und man glaubt es nicht, keine Probleme. Die Busse kamen, wenn wir sie brauchten, und wir waren eine halbe Stunde zu früh an der Schule. Auch gut. So konnte ich mich noch mit Katherine unterhalten, bevor ich ins Klassenzimmer mußte. Sie sagte, ihr Vater habe zugestimmt, daß ich am Freitag übernachte. Wir freuen uns beide darauf. Die Neuigkeit des Tages an der Schule war, daß Ekel-Betsy ins Krankenhaus mußte. Irgendwie hat sie während der Ferien so viel hochgewürgt, daß etwas mit hochkam, das sie braucht. Sie liegt im Lennox Hill. Wir haben ihr eine Karte geschickt, die alle unterschrieben haben. Vielleicht kriegt sie ja endlich eine Therapie, aber ich glaube nicht daran.
Bei der Arbeit ist Pappi heute etwas zugestoßen, aber er will nicht darüber reden. Er war so still während des Abendessens, richtig beängstigend, das ist sonst gar nicht seine Art. Boob fing an, mit ihrem Essen herumzuspielen und doofe Lieder zu trällern, aber er lächelte nur leicht, das war alles. Wir fragten, was los sei, und er wimmelte uns ab. Diesmal schwindelt er nicht nur, er lügt. »Ich weiß auch nicht, was er hat. Vielleicht war jemand ungehobelt zu ihm, Liebes, wer, weiß ich auch nicht«, sagte Mama, als ich sie fragte, ob er zu ihr etwas gesagt habe.
Wir sahen während des Abendessens fern. Hier oben gibt es kein Kabel, und der Empfang ist schlecht, aber wir kriegen die Kanäle 4, 7 und 13 ohne allzu arge Geisterbilder. Gestern nacht und heute morgen kam es wieder zu Unruhen in Brooklyn. Schlimmer ist, daß sie Ausschreitungen für Harlem und Washington Heights voraussagen, was viel näher ist, eigentlich gleich um die Ecke. Der Bürgermeister sagt, daß die Armee einmarschieren muß, falls es dazu kommt, da die Nationalgarde zu beschäftigt sei mit Long Island und Queens und den Vorfällen oben in New York State. Dagegen meint der Präsident, er könne keine weiteren Soldaten nach Amerika zurückholen und an die Heimatfront abstellen, weil es Aufgabe der Polizei und der Nationalgarde sei, damit fertig zu werden. Weiter wurde berichtet, daß allein letzte Woche 2000 Menschen in Los Angeles umgekommen seien. Pappi wünschte, daß ein paar dabei waren, die er kennt.
Als wenn es hier oben noch nicht laut genug zuginge, haben wir heute nacht eine weitere üble Überraschung erlebt, Anne. Vorhin, keine Stunde, bevor ich anfing, dir zu schreiben, hörten wir plötzlich eine Tonbandstimme losplärren. Zuerst haben wir nicht verstanden, um was es ging, weil sie spanisch und dann kreolisch trötete. Schließlich fing sie auf englisch an: »Warnung! Warnung! Warnung! Sie haben unbefugt dieses Grundstück betreten. Verlassen Sie sofort dieses Grundstück, oder wir leiten Gegenmaßnahmen ein!« Dann fing sie wieder auf spanisch an. Die Stimme ist so laut wie ein Flugzeug am Flughafen; sie lief 15 Minuten lang, dann hörte sie auf. Pappi vermutet, es sei die Alarmanlage drüben bei dem Genossenschaftsblock, der ohnehin die ganze Nacht lang von Bewaffneten bewacht wird. Warum die einen so lauten Alarm brauchen, ist mir schleierhaft. Vielleicht, um die Posten wachzuhalten. Jedenfalls eine abscheuliche Lärmquelle mehr, um uns alle an den Rand des Wahnsinns zu treiben.
1. April
Heute zogen wir wieder in unsere alte Wohnung, und ich habe lauter Einsen gekriegt in den zurückliegenden Prüfungen. April, April, Anne! Allerdings habe ich ziemlich viele Einsen, nur in Algebra nicht. Da reichte es nur für eine Zwei minus. Ich hasse Algebra und die ganze Mathe.
Als Boob und ich uns heute morgen auf den Weg machten, sahen wir, daß einer in großen, weißen Lettern »Die Erde ist die Hölle« an die Seitenmauer unseres Hauses gesprüht hat. Wahrscheinlich hat der blöde Alarm auch denjenigen wach gehalten, der das dann geschrieben hat. Die Stimme dröhnte noch dreimal los heute nacht, »Warnung! Warnung! Warnung!«, und jedesmal
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