Ambient 02 - Heidern
einen Blick in die Amsterdam Avenue und rannte dann wieder nordwärts zur 138. Hier und auf den Querstraßen Richtung Osten war wieder mehr Militär. Sie gingen von Gebäude zu Gebäude und zerrten Menschen heraus. Eine Frau wollte nicht aufhören zu schreien, also schlug ihr ein Soldaten mit dem Gewehrkolben auf den Mund. Sie fing sofort zu bluten an. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst, Anne, aber wir liefen weiter, bis wir bei Judes Haus ankamen. Quer über das leere Grundstück rannten wir zur Rückseite des Gebäudes. Dort deckten wir das Loch ab und krochen hinein. »Jude oder Weez, eine is da«, sagte Iz, als wir drin waren und die Abdeckung wieder anbrachten. Sie pfiff, und oben erwiderte jemand den Pfiff. »Jude. Fallste mal allein kommst: da steckt die Lampe«, erklärte mir Iz, als sie die Taschenlampe aus einem Loch im Verputz nahm. »Sin drei im ganzen; eine is also immer da.«
Jude saß auf ihrer Matratze und sah aus dem Fenster, als wir oben ankamen. »He, du Zielscheibe!« Iz.
»Schießn nich auf Sterne, sondern auf Verdächtige« erwiderte Jude, ohne sich zu bewegen. Es wurde langsam duster hier drinnen. »Sollten wir nicht ein paar Kerzen anzünden?« schlug ich vor. »Lassn wirs schwarz.« Jude. Wir setzten uns neben sie und blinzelten nach draußen. Zu sehen war eigentlich nichts, aber wir hörten Schüsse, Sirenen und Schreie.
»Hab gedacht, ihr ratzt bei Iz«, sagte Jude.
»Wolltn wir auch. Aber Ma hat Lola gesehn und die Nation-of-Islam-Nummer abgezogen, also sin wir verduftet.«
»Hast wohl nich erzählt, daß du n Weißn Teufel mit nach Hause bringst?«
»Die soll sich ab und zu anpassen.«
»Na, da Weez auch gleich kommt, bleibt die Kacke ja am Dampfen.« Daß ich sie demnächst wieder sehe, war mir klar gewesen. Nicht aber, daß es so bald sein würde.
»Machen alle bei diesen Unruhen mit?« fragte ich.
»Scheint so« knurrte Jude und lehnte sich gegen die Wand.
»Die habn alle die Schnauze voll von diesn Grünärschen, die unsre Leute drangsalieren. Bis hierher und nich weiter.« Iz. Ich mußte an die Ratte denken, die Jude gefangen hatte.
»Wir sahen, wie sie Menschen aus ihren Häusern gezogen haben, um sie zusammenzuschlagen.«
»Is ja fast normal. Militär oder nich.« Jude.
»Wieso das?«
»Sie nennen so was Crack-Razzia. Dabei machn die in der Grube Überstundn.« Jude.
»Freie Marktwirtschaft.« Iz.
Eine Sekunde später erbebte unser Zimmer, und der Putz fiel von der Decke, weil irgendwo in der Nähe eine Riesenexplosion stattfand. Ich machte mir Sorgen, daß sie das Gebäude in die Luft jagen würden, aber Jude und Iz brachte das gar nicht aus der Ruhe. »Und was ist, wenn sie hier herein wollen?«
»Deswegen lassn wir das Licht aus. Dann klopft schon keiner.« Jude.
»Vorn is alles vernagelt. Schaut ausgestorben aus.« Iz.
»Sind wir hier wirklich sicher?«
»Bis Weez kommt, ja« lachte Jude. »Die soll sich bloß beeilen.«
Iz schien mich anzublicken. Sie spürte sogar im Dunklen, daß ich mir Gedanken wegen Weez machte. »Zeig ihr mal unser Arsenal, Jude.«
»Operation Toter Hurensohn«, feixte Jude, als sie unter der Matratze zwischen den Ziegelsteinen etwas herausholte. Es war ein langes Gewehr mit einem Griff vorne und einem Zielfernrohr. »Biste klapperdürr, dann nimmste damit blitzschnell 20 Pfund zu. In Blei. Kennst du die Russn, die diese kleinen Puppn und son Scheiß verhökern?« Ich nickte, während ich mir das Gewehr betrachtete. Jude hatte es in der Hand wie jemand, der damit umgehen kann. Dann ließ sie es wieder unter dem Bett verschwinden. »Frag richtig, un sie verkaufn auch so was. Aber Finger weg: das nehm nur ich.«
»Wenn hier ein ganzer Haufen hereinstürmt, dann würden sie dich doch auch umbringen?«
»N Einsatzkommando, ja. N paar Nachtschleicher, schade um sie. Bei ner Belagerung machen wirs strategisch.« Jude hielt mir ein Seil hin. »Haken an der Wand, Seil dran, raus damit, schon sind wir unten und weg.«
Da pfiff wieder jemand, und Jude antwortete. »Pennt sie auch hier?« fragte Iz. Große Freude, als Jude den Kopf schüttelte. »Weez sagt nur Hallo vorm Streunen. Aber vielleicht überlegt sie sichs ja heute.« Draußen flogen Helikopter mit Suchscheinwerfern vorbei, die leere Gebäude überprüften. Draußen war es zwar laut, aber der Lärm war weit genug entfernt, daß wir die Schritte auf der Treppe hören konnten. »Yo yo yo, da draußen bläst n Hurrikan«, schnaubte Weez, als sie durch die Tür kam. Sie
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