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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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schöner als bei Tag, genau wie New York. Pappi meinte, wir könnten dort jetzt wieder ganz schöne Schwierigkeiten haben. Dann blätterte er um, und wir sahen uns Bilder von Prag an, wo wir ebenfalls waren, genau wie in Budapest und Wien. Wir besuchten damals Kafkas Haus und das Haus, wo der Golem lebte und den alten Judenfriedhof. Und da war das alles plötzlich wieder als Fotos. So sehr ich New York liebe, Anne, würde ich jetzt lieber in Europa wohnen. Die haben dort auch ihre Probleme, aber es sind wenigstens nicht die gleichen.
    »Werden wir jemals wieder Europa besuchen, Pappi?« Er lächelte nicht, sondern schwindelte wieder vor sich hin, ja Liebes, ganz sicher, nächstes Jahr, vielleicht sogar noch heuer, falls sich ein Projekt ergibt. »Glaubst du an so ein Projekt?« Schließlich gab er zu, daß es sich nicht so schnell ergeben würde, wie wir alle es erhofften, weil die Lage sich allgemein verschlimmert und verschlimmert. »Wie unsere Lage.« Nein, nur die allgemeine Lage, versicherte er. »Und wie geht es Herrn Mossbacher?« Er verzog das Gesicht.
    Danach fragte er mich, ob meine Schwester je mit mir über ihre Sorgen reden würde. »Nein, aber ich glaube, es gefällt ihr hier einfach nicht.« Das verstehe er. Ihm gefalle es hier auch nicht. »Allerdings muß da noch etwas im Busch sein, aber ich komme nicht dahinter, was es ist.« Pappi nickte zustimmend.
    Pappis Bart ging mir plötzlich durch den Sinn. Mir fiel wieder ein, wie ich als kleines Mädchen auf seinem Schoß sitzen durfte und Bänder hineinflocht, während er las. Einmal habe ich so viele hineingepusselt, daß sie unentwirrbar waren und er sich den Bart ganz kurz abrasieren mußte, aber er war nicht sauer deswegen. Mir war furchtbar danach, ihm auch jetzt wieder ein Band hineinzuflechten, habe es aber nicht gemacht, weil ich schließlich schon viel zu alt für so was bin. Er und Mama machten sich Sorgen um Boob, fuhr er fort. »Weiß ich, tue ich ja auch.« Sie würden sie demnächst zu einem Spezialisten schicken, gerade habe er etwas arrangiert. »Zu einem Seelendoktor?« Er nickte. »Warum sollte sie mit einem Seelenklempner reden, wenn sie nicht einmal mit uns spricht?« Er meinte nur, die Leute würden Fremden alles erzählen, selbst junge Menschen. Das bezweifle ich, aber wenn er es für richtig hält, wird es schon nicht schaden. Ob ich hier oben unglücklich sei, wollte er wissen. »Ich bin bloß nicht ganz so glücklich, wie ich sein könnte.« Und dann wieder das übliche Versprechen: Es werde nicht auf ewig so bleiben. Trotzdem war ich glücklich, daß Pappi und ich gestern Zeit miteinander verbrachten. Er war so gedrückt in letzter Zeit, deshalb war ich richtig froh, daß wir einmal Zeit füreinander hatten.
    Um sechs zischte ich los und traf mich mit Iz. Wir gingen zu ihrem Wohnblock. Die Kiste ist schon übel genug von außen, Anne, aber du solltest mal die Eingangshalle sehen, Einschüsse im Glas, die Hälfte der Lampen herausgebrochen. An der Decke war eine Leitung leck, und Wasser tropfte auf den Boden. Es gibt auch einen Tisch wie für einen Türsteher, aber der Tisch war umgeworfen und zusammengeschlagen, als hätte jemand mit der Axt drauflosgewütet. Irgendwer hatte die Wände mit Grafitti vollgeschmiert. Die Hälfte der Aufzüge ging nicht, weil die Türen herausgebogen und herausgerissen waren, als hätte jemand sie mit einem Büchsenöffner aufgemacht. Fünf oder sechs Männer saßen auf demolierten Stühlen, tranken Bier und beäugten uns.
    Wir fuhren hoch. Iz' Gang besteht aus gemauerten Betonblöcken, die halbhoch mit grüner Farbe bepinselt sind, als sei dies ein Keller. Die Fenster an seinem Ende sind ebenfalls herausgebrochen. Im Vorbeigehen deutete Iz auf eine Tür und sagte, daß hier Esther wohne. In der Wohnung war alles ganz anders, richtig hübsch, auch wenn sie nicht ganz so groß ist wie unsere jetzige. Sie haben ein Wohnzimmer, eine Küche und zwei Schlafzimmer. Iz und ihre Mutter besitzen schnieke Möbel, eine Riesenanlage und sogar ein paar Taschenbücher. Mein Zeug brachten wir gleich in ihr Zimmer, das schnuckelig eng, aber zugleich auch recht nett wirkt. Iz hat Vorhänge mit Blumenmuster und ein Doppelbett mit weißen Rüschen und großen Kissen. An der Wand hängt ein Poster mit Martin Luther King drauf und ein Foto von ihr und Jude, auf dem sie sich umarmen und die Zähne blecken. Ich sollte mit Iz in die Küche kommen, wo ihre Mutter war. Die sagte nur »Hallo«, als sie mich sah, stand auf und

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