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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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ab, die ich haben konnte. Mir wäre es im Laufe der Jahre, in denen ich während der Erntedankfest-Hanukka-Weihnachts-Orgien hatte Putenbrust-Baguettes anstatt ganzer Puter futtern, Sträucher statt echter Weihnachtsbäume schmücken müssen, leicht möglich gewesen, ohne jede Selbsteinpeitschung, mir einzureden, trotzdem fielen die Festtage in jedem neuen Jahr denkwürdiger als im Vorjahr aus, doch nein, es hatte nicht geklappt; der Geist verwirft ein Zuviel an Lügen, so wie der Körper sich gegen zuviel Schlaftabletten wehrt.
    »Was für ein schöner Sonnenuntergang«, bemerkte Thatcher, während wir die paar Häuserblocks von der Wall Street zu Fraunces Taverne mit dem Wagen fuhren. Stückweiser Himmel zwischen Gebäuden zeigte halb sichtbare Pracht. Die engen Straßen der Altstadt vermittelten ein Gefühl der Mittelalterlichkeit, man hatte, als säumten dicke Mauern und steinerne Zinnen sie, ein Empfinden, rings umschlossen zu sein. Als wir aus dem Auto stiegen, schlug uns die gestaute Nachwärme des Abends ins Gesicht; wir sahen zwei moderne Westgoten, Mitglieder des Mobs, der sich schon vor langem in der Stadt breitgemacht hatte, nämlich Wertpapierhändler, die kicherten wie dumme Jungs vor einem Sexkino, indem sie mit Regenschirmen auf einen Müllsack einstocherten. Aus dem Sack drang Gestöhne; der Mann, der darin stak, bedeckte die Augen mit den Händen.
    »Amateure«, brummelte Thatcher halblaut, bekundete soviel Anteilnahme wie ich oder jeder andere, den ich kannte, am Schicksal der Verlierer, die verloren, damit wir, die Gewinner, auch wirklich gewannen. Thatchers Schneekönigin, hatte Bernard mich voller Erheiterung genannt: Eisprinzessin, Gletschergirl, Eisblume, Prinzessin Eisherz. War ich besser als Thatcher, weil ich das Geschehen bemerkt, aber dazu geschwiegen hatte? Auch das war eine der Lügen, die ich nicht länger verdrängen konnte. Der Zeitgeist meiner Generation spukte allein durch die Hallen der Gegenwart, ohne überflüssige Rücksicht aufs Versprechen eines unwahrscheinlichen Himmelreichs zu kennen; deshalb ging es mir wie allen, ich sah, aber sah nichts, ich nahm Anstoß, blieb jedoch gleichgültig, schaffte es nicht, mal lange genug innezuhalten, um darüber nachzudenken, was ich täte, versuchte ich etwas zu tun, überzeugte mich davon, ich könnte nichts ändern und tat folglich nichts.
    Susie nahm Thatchers Arm, als wir das Lokal betraten, zog ihn an sich; er sträubte sich nicht. Vor unserer hatte er bereits andere Affären gehabt, doch Susie verließ ihn nie, und er wünschte auch gar nicht, daß sie fortginge. Nie sprachen sie über ihre unvermeidliche Symbiose, als wäre es ihnen einzugestehen peinlich, daß keiner von beiden sich allein in der Welt zurechtgefunden hätte. Kein Außenstehender vermochte ihren Schulterschluß zu sprengen; ich könnte mir bei derartigen Bemühungen nur den Kopf bis zur Erschöpfung einrennen. Ziemlich bald, glaubte ich – weil ich es glauben wollte, ohne zu wissen wie, ohne zu ahnen wann –, höbe ich einfach ab und ließe alles hinter mir; bis dahin gedachte ich die gemeinsamen Momente, die uns noch blieben, still verstreichen zu lassen, damit er meine Abwesenheit erst nach meinem Verschwinden bemerkte.
    Wenig später standen die Getränke in unserer Nische auf dem Tisch. Gus kostete jedes vor, ehe wir tranken. Er und Jake, der uns begleitet hatte, belegten die äußeren Plätze, schirmten uns quasi vor der Menge der übrigen Gäste ab. Jake fegte Dreck aus meiner Ecke der Nische, und ich nahm den Drydens gegenüber Platz. Susie musterte ihren Mann, als ob sie in Gedanken die verschiedenerlei Weisen auflistete, wie sie ihn geliebt hatte.
    »Ich finde diese Bude abscheulich«, sagte sie. »Es ist wie in 'm Raubtierkäfig.«
    »Man kann sich nicht dauernd von allem abschotten, Liebling«, entgegnete Thatcher. »Denk an den armen, alten Elvis. Es sind die Höflinge, die den König zugrunderichten.«
    »Scheiß-Elvis«, sagte Susie. »Schau mal lieber dich an. Volkstümliche Patriarchenjovialität für die Leute. Tolle Allüren …!«
    »Tolle Leute.« Etwas streifte meinen Fuß; ich riß ihn zurück, weil ich schon in besseren Lokalen Ratten erlebt hatte. Hunderte amüsierten sich unter Eichenbalken, zwischen Bierkrügen, Zinngefäßen und Stahlstichen, bei ihren strapaziösen Spielchen. Ein Börsenmakler, immerhin kein Teenager mehr, kroch auf allen vieren umher und bellte, sein Schlips kehrte den Fußboden; zwei Frauen übten sich im

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