Ambient 03 - Ambient
hatte wenig Zeit, als eine durchaus Christliche Nation zu leben, bevor die Ebbe eintrat. Nur unbestimmt erinnerte ich mich der Plakate in der U-Bahn, die dort von Männern der Kirche angebracht worden waren: Aufnahmen aufeinandergestapelter angeblicher Auschwitzopfer mit der Botschaft darunter:
NIMM CHRISTUS AN UND LEBE!
Als wir Sloans erreichten, kämpften wir uns durch die Menge am Straßenrand, die sich über die Abfallbehälter hergemacht hatte. Wir passierten die zur Abwehr von Plünderern errichteten Sperren, durchschritten die Metalldetektoren und erhielten für unsere Anzahlung endlich einen Einkaufskorb. Enid eilte durch die Gassen und warf greuliches Zeug die Menge hinein: Zuckertörtchen, Lutscher, Eisbonbons, Riegel und sogenannte Eßgehirne – Totenschädel aus weißer Schokolade mit Geleefüllung. Ich nahm ein paar Äpfel und Orangen, frisch aus Spanien, die wenigstens die Schalen behalten hatten, in denen sie geliefert worden waren. Um unsere Einkäufe auseinanderzuhalten, steckte ich meine Früchte auf Enids Nägel.
»Wir brauchen Toilettenpapier«, sagte ich. Die Worte waren kaum heraus, als mir einfiel, daß mein Bedarf einstweilen von anderer Stelle gedeckt würde.
»Alle können sich von der Fliesentapete abreißen.«
Sie warf einen Wecken Weißbrot in den Korb; er sprang wieder heraus, als wollte er fliehen. Wir fingen ihn bei den Milchprodukten.
»Ich habe eine phantastische Idee«, sagte ich.
»Que?«
»Du könntest einmal etwas Gesundes kaufen«, sagte ich und ließ meinen Blick über die bunten Etiketten und glänzenden Verpackungen im Einkaufskorb wandern.
»Porque?«
»Zur Abwechslung«, sagte ich, nahm einen Beutel Zuckerchips aus ihrem Korb und schüttelte ihn; es rasselte, als wäre er mit Reißzwecken gefüllt. »Würde dich nicht umbringen.«
»Warum spielen, was ohne Ergebnis bleiben muß?«
Ich überzeugte sie. Sie nahm eine Packung Sojarahm und einen Block Festmilch von Kraft aus dem Regal. Sie hätte sogar noch einen Karton Eier genommen, aber die für New York bestimmte Lieferung dieses Monats war von der Regierung unseren italienischen Freunden zugedacht, oder deren Freunden. Es wurden noch weitere Dinge benötigt, aber der Laden war ausverkauft; ganz gleich, wieviel von etwas nach Manhattan hereinkam, es war nie genug.
Versorgt steuerten wir den Ausgang an. Die Menge draußen schien drauf und dran, die Barrikaden zu stürmen, aber unsere Schlange war kurz; in weniger als einer halben Stunde erreichten wir die Kasse. Der Supermarkt hatte Vidiac; eine Reihe Monitore hing über den Kassenausgängen, aber ich sah nicht hin, sondern durchblätterte Zeitungen in den benachbarten Ständen. Da gab es einen nützlichen Artikel, der beschrieb, wie Vampire am Arbeitsplatz erkannt und mithin gemieden werden konnten; ein anderer Artikel mit der Überschrift IST IHR MANN DIE WIEDERGEBURT EINES SEXMÖRDERS? behandelte die Wahre Geschichte des Schlitzers von Hackensack, erzählt von seiner Exfrau jenseits des Grabes. Den Leitartikler der Zeitschrift Tiempo sorgte die kommende Nahrungsexplosion – klang unerfreulich –, und auf die Artikel, die sich mit der Tagespolitik beschäftigten, folgten mehrere Nachrichtenfotos – aus diesem Grund erlaubt –, die tote junge Frauen in Unterwäsche zeigten.
»Einmal gesehen, alles gesehen«, sagte Enid nach einem Blick über meine Schulter. »Die Überheblichkeit der Männer macht alles stumpf.« Sie warf das Exemplar von McCall's Magazine, worin sie geblättert hatte, in den Ständer zurück; VIERZIG KÖSTLICHKEITEN MIT MAKKARONI lautete der Aufmacher.
Als wir an die Reihe kamen, legte Enid zwei Dollar hin; wir stopften die Sachen in die mitgebrachten Taschen. Unser Heimweg verlief ruhig; wir sprachen nicht. Meine Gedanken wanderten zu Avalon, und ich zählte die Minuten, bis ich sie wiedersehen würde.
»Keine Besucher?« fragte ich Lester, als wir zu Hause ankamen.
»Kein Blut«, sagte er, streckte einen Arm aus und hielt mit dem anderen die Balance.
»Das fragte ich nicht«, sagte ich. »Du hättest es sowieso aufgeleckt.« Lester lächelte und sprang die Treppe hinunter. Wir gingen hinein.
Ich mußte noch nicht gehen – es war erst kurz nach Mittag –, und so legte ich meine Äpfel und Orangen, nachdem ich sie Enid vom Kopf gepflückt hatte, sorgsam nacheinander ins Spülbecken, um sie ohne allzuviel Wasserverschwendung einzuweichen. Auf einmal wandte sich Enid um, als hätte sie einen Rippenstoß bekommen.
»Die
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