Ambient 03 - Ambient
bahnen würden – vorausgesetzt, sie überlebten den Aufenthalt. Um die Bedürfnisse der Bewohner zu decken, säumten ungezählte Boutiquen die Seventh Avenue, jede gut für ungefähr drei Monate Existenz – bis die Modetorheit starb oder die Ladenmiete erhöht wurde. Wir kamen an Restaurants vorbei, die nur Zubereitungen von Seewalzen und Algen anboten; Läden, die nichts als einen bestimmten Artikel verkauften: Lampen oder Schilder, Hemden oder Messer. An der Kreuzung 16. Straße, kurz vor der Straßensperre, die Chelsea von der Kontrollzone Village trennte, war ein großes Antiquitätengeschäft, dessen Aushängeschild das größte Lager von Mobiliar aus den Schlimmen Neunzigern in New York anpries.
Wir gingen die 14. nach Osten, passierten am Broadway die Barrikade in die Sekundärzone East Village, in der wir uns jedoch nur kurz aufhielten; an der Kreuzung Third Avenue erreichten wir die Mauer, die Loisaida umgab, und gingen hinein.
»So sieht es also auf dieser Seite aus«, sagte Avalon. Sie schien nervös, obwohl es schwierig wurde, in ihren Zügen zu lesen; es dunkelte bereits.
In der 10. Straße waren Graffiti von Ambienten in die Wand eines verlassenen Gebäudes gekratzt: DIE GOTTHEIT LEBT – DU AUCH? Wir gingen weiter; viele Leute aßen um diese Zeit, und die Straßen waren nicht so stark belebt, wie sie es oft waren. Nach einiger Zeit kamen wir zu meinem Haus. Die unbeleuchtete Inschrift über der Markise des Clubs zeigte die Wochenendattraktionen an: Kinder des Paradieses und Jules und Jim. Unterwegs hatte ich scharf Ausschau gehalten; niemand schien uns gefolgt zu sein, weder zu Fuß noch in einem Wagen. Das Scherengitter vor der Tür war offen; wir gingen hinein.
»Lester?« rief ich, aber im Foyer war niemand, und im Club brannte nur die Notbeleuchtung. Durch den Tabakrauch erkannte ich mehrere unbestimmte Silhouetten bei der Bar.
»Ola«, sagte Ruben und kam aus dem Dunst herüber. Er hatte das Hemd ausgezogen und sah aus, als hätte er etwas gesäubert, nach den Schmutzflecken an Schultern und Brust zu urteilen.
»Enid oder Margot in der Nähe?« fragte ich.
»Noch auf der anderen Seite«, sagte er.
Avalon machte große Augen, als Ruben einen Fuß zum Mund hob und die Zigarette herausnahm, um geläufiger sprechen zu können; er klopfte die Asche an der Tür ab.
»Heute noch zurück?«
Er schüttelte den Kopf. »Versprühen ihren Charme da und dort. Beim Spiel mit Brooklyns Klatsch. Tu corazón?«
»Mi corazón«, sagte ich und hielt Avalon fest im Arm, als müßte ich befürchten, sie könnte einen Fluchtversuch machen. »Wir gehen hinauf und machen zu. Sollten Schnüffler in die Nähe kommen …«
Er nickte. Wir gingen zur Treppe und hinauf, stiegen über die auf den Treppenabsätzen kampierenden Gestalten. Ich sperrte auf, und wir gingen hinein. Avalon stand bewegungslos in der Mitte des Raumes, wie überwältigt.
»Hier wohnst du?« fragte sie.
»Man gewöhnt sich daran.«
»Ist da Ungeziefer drinnen?« sagte sie und zeigte zum Sofa.
»Nichts, was beißt«, sagte ich. Sie runzelte die Stirn, setzte sich aber nieder.
»Hast du was zu trinken, Schamlos?«
»Wodka. Pepsi. Willst ein Glas?«
»Wodka. Und ein Glas, wenn es nicht aussieht wie der Rest der Wohnung.«
»Hier«, sagte ich, nachdem ich eine Flasche aus Enids Vorrat geholt hatte. Sie nahm sie mir aus der Hand und tat einen langen Schluck. »Keine Sorge«, sagte ich, »hier werden wir sicher sein, bis wir uns ausgedacht haben, was zu tun ist.«
»Wir müssen inzwischen auf der Schwarzen Liste stehen, auf jeden Fall«, sagte sie.
»Da stehen wir nicht allein.«
»Was soll aus uns werden, Schami?«
»Wir müssen es nehmen, wie es kommt«, sagte ich, abgeneigt, auch nur zu versuchen, mir etwas auszudenken.
»Sind da unten alle so wie dieser Kerl …«, fing sie an; dann fuhr sie plötzlich zusammen, als hätte sie sich auf eine Nadel gesetzt. »Jemand ist hier.«
»Wo?« flüsterte ich, umherblickend.
»Horch! Ich hörte sie etwas sagen.«
Ich horchte. Das einzige Geräusch war Tür angelehnt, bitte schließen.
»Das ist der Kühlschrank.«
»Oh«, sagte sie, atmete auf und nahm einen weiteren Schluck. »Gibt es da unten viele von diesen Mißgeburten?«
»Es gibt hier in der Gegend viele Leute wie diese.«
»Ich hörte, deine Schwester sei auch so«, sagte sie. »Ist sie?«
»Enid ist keine geborene Ambient«, erklärte ich. »Sie entschied sich dafür, eine zu sein. Aber sie ist nicht genauso wie die
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