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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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der Atem des Jungen den Körper verließ. Vielleicht hatten mich zu viele Kampftage unwillig gemacht; vielleicht hatten zu viele Beseitigungen in Jake einen Hunger nach mehr erzeugt. Als ich die Augen wieder aufmachte, sah ich ihn das spitzenartige Muster von Blut unter dem Kopf des Jungen betrachten, die fransigen Blütenblätter des Gehirns, als gelte es Form und Beschaffenheit zu begutachten.
    »So hübsch«, flüsterte er.
    Weniger Blut rötete Skuratows Gesicht; er sah aus wie einer, der die Waldschnepfe gehört hat, wie das russische Sprichwort lautete. Nach Rußland reisen hieß eine Welt betreten, die nur ungefähr mit der bekannten übereinstimmte, eine Welt, deren Logik verlangte, daß Samenkörner im Sand gedeihen, und daß daraus gewachsene Pflanzen richtig aussehen, wenn man ihre Farben mit dem Pinsel natürlicher nachmalt. Hatte er es erwartet? Ich entschied mich dagegen. Es gab keinen tieferen Grund für ihn, daß er uns im Laufe der Jahre so gut gedient hatte. Subtilität war alles; uns in diesem Tunnel erledigen zu lassen, wäre nicht subtil gewesen.
    »Was hat er gesagt, Luther?« fragte Jake und steckte die Omsk für zukünftige Lustbarkeiten ein. Einiges Gemurmel befriedigte seine Neugierde, als wir das Hotel erreichten und uns bis zum nächsten Morgen von Skuratow verabschiedeten. Zu selten hatte ich Männer wie Jake mit mir im Kampf gehabt – über Mexiko, auf Neuguinea, entlang der türkischen Küste; Johnson war in den alten Tagen mit mir in den marsähnlich verwüsteten Dünenfeldern Long Islands gewesen und Johnson war der einzige gewesen, der Jakes Ebene nahegekommen war. Dennoch hätte ich nur mit Jake an meiner Seite immer gewonnen.
     

2
    Jake schlief und sah nicht gefährlicher als eine junge Kobra aus. In dieser Nacht wartete ich, bis er im Bett lag, bevor ich Fernsehmonitor und Telefon anschloß. Durch die Anweisung zur Unterdrückung von Fremdsendern leuchtete der Bildschirm fahlweiß, eine Erleichterung, für die ich dankbar war. Die Medienanschlüsse unseres Zimmers waren wie in allen russischen Hotels, in amerikanischem Besitz oder nicht, fest eingestellt und konnten normalerweise weder ausgeschaltet noch in der Lautstärke verändert werden, so daß die Fernsehwerbung zumindest unterschwellig in das müde Unterbewußtsein des schlafenden Reisenden eindringen konnte. Daß das Telefon angezapft war, machte keinen Unterschied. Ich setzte Kopfhörer auf, hakte das Zerhackergerät an meinen Kragen, gab die Codenummern ein, und bekam Verbindung mit Alice, dem Computer meiner Firma in New York. Unverfälschte Info war das Gebot, und wenn Alice sie nicht hatte, hatte sie niemand.
    »Alice«, sagte ich. »QL 789851ATM, Sicherheitsklausel. Nur geschlossener Kanal.« Ozeanblau überspülte das Weiß auf dem Bildschirm.
    »Alles gesichert«, kam ihre Kunststimme über den Äther. »Ich war im Zweifel, ob Sie senden könnten, Luther. Haben Sie entschieden, wie ich von Nutzen sein könnte?«
    »Ich brauche Info über Oktobrjana Ossipowa. Wohnort ist die Stadt Dubna. Gegenwärtiger Aufenthalt unbekannt. Möglicherweise Novy Marina Roschja, Straße unbekannt. Krasnaja-Akte 932000 5441 …«
    »Moment bitte.«
    Ich hörte ein unerwartetes Knarren, drückte mich gegen die Stuhllehne und hielt den Atem an. Jake lag totenstill, die Ohrknöpfe seines Taschenrecorders eingesteckt, und ließ sich von den alten Klängen, die er schätzte, das schlafende Hirn massieren. Aus den Kopfhörern drangen keine anderen Liedtexte als diejenigen Robert Johnsons, des Bluessängers aus dem vorigen Jahrhundert. Ich bildete mir ein, seine Worte als winziges Gewisper zu vernehmen:
     
    »I sent for my baby – and she don't come …«
     
    Das Knarren wiederholte sich nicht. Geräusche des alternden Gebäudes, befand ich, obwohl die Wandrisse nicht tiefer aussahen. Das Schnurren von Kameras, die unsere Untätigkeit aufzeichneten, wurde einem so vertraut wie das Schnurren einer Katze, solange man sich aus dem Aufnahmebereich heraushielt.
    »Luther«, sagte Alice nach fünfminütiger Abwesenheit. »Krasnajas Datenspeicher sind nur durch örtliche Abrufcodes zugänglich. Das erklärt meine Verzögerung.«
    »Hatten sie übermäßige Hindernisse eingebaut?«
    »Falsche Überschriften, Standardcodes, die üblichen Schikanen. Auch hatten sie ihre Akte ziemlich tief vergraben.«
    »Was geht daraus hervor?«
    »Oktobrjana Dimitrijewna Ossipowa erhielt Unterricht in einer besonderen Studiengruppe an der Fakultät für Physik

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