Ambient 04 - Terraplane
ich.
»Einer von diesen Volksrednern«, sagte sie. »Die meisten hängen drüben an der Lenox Avenue herum. Sie mögen es nicht, wenn sie allzu oft herüberkommen, und schon gar nicht, wenn sie anfangen, über die Polizei zu reden. Aber jedes Wort, das er sagte, ist wahr.«
»Er sah nicht wie ein Russe aus«, sagte ich. Wanda lachte.
»Kinder im Wald seid ihr, alle miteinander.«
Noch ein paar hundert Meter, und wir erreichten unser Ziel, einen kleinen Süßwarenladen mit schmutzgeschwärztem Schaufenster. Nachdem sie die Straße hinauf und dann hinab geäugt hatte, trat sie ein; eine an der Tür angebrachte Glocke klimperte, als wir über die Schwelle traten. Verglichen mit dem Inneren des Ladens war das Schaufenster taufrisch. Unter einer langen, schmierigen Glastheke lagen Karamelbonbons und Schokoladenriegel, deren grau gewordenes Einwickelpapier brüchig und spröde den längst ausgehärteten Inhalt umgab. Mehrere vergilbte Zeitungen, die in der Nähe gestapelt lagen, trugen Daten vom vorigen Monat. Hinter der Theke war ein widerspenstig blickender Junge, der eine übergroße Schiebermütze auf dem Kopf und einen Zahnstocher im Mundwinkel hatte.
»Sind sie da?« fragte Wanda. Der Junge nickte, ohne sich umzusehen, und wies mit dem Daumen nach rückwärts, zu einem alles verhüllenden Vorhang. Wir gingen durch und sahen uns vor einer glatten Wand, in der eine einzige blechbeschlagene Tür war. Sie klopfte dreimal mit Abständen. Jemand beäugte uns durch den Türspion, bevor aufgesperrt wurde; der Wachmann zeigte sich, ein schlanker Bursche von Milchkaffeefarbe, der eine Weste und Hosen trug, die mehr für das Aussehen als für die Bequemlichkeit geschnitten waren. Er ließ die Pistole sinken und lächelte, daß die in seine Schneidezähne eingesetzten Diamantsplitter blitzten. »Hai-di-ho, große Frau.« Er klang wie ein Mann mit Bühnenpraxis. »Komm nur herein!«
»Steck diese Kanone weg!« sagte sie und folgte der Aufforderung. Hinter der Tür befand sich ein fensterloses Büro mit Ablageschränken, einem großen hölzernen Schreibtisch und einem hohen Garderobenständer als einzigem Mobiliar. Zwei von diesen altertümlichen Telefonen standen auf dem Schreibtisch, darüber hing ein gerahmtes Foto von Theodore Roosevelt. Cedric, bemerkte ich, trug einen ähnlichen Zwicker. In einem Winkel stand etwas, das in diesen Tagen ein Victrola genannt wurde; auf dem Plattenteller drehte sich eine schwarze Scheibe und spielte Verdis Schreie, und ich machte mir Gedanken über den Geschmack meines Musikkumpels. Auf Cedrics Seidenhemd lag ein breiter grüner und purpurner Schlips, festgezogen um seinen schlanken Hals. Am Kleiderständer hingen ein dunkles Jackett mit Perlmuttknöpfen und ein himmelgrauer Homburg; beide waren mit angetrocknetem Erbrochenem bespritzt.
»Mrs. Wanda«, sagte er, »ich bin nur noch ein Wrack, heute morgen. Die ganze Nacht auf den Beinen und mich um den Rockefeller da hinten gekümmert.« Rückwärts im Hintergrund hörte ich stolpernde Geräusche, wie sie nach langer Zecherei vorkommen.
»Steck ihn in einen Sack und laß ihn in den Fluß fallen, Cedric. Ich bin nicht hergekommen, um mir die Ohren voll …«
»Er und eine von seinen Schnallen gerieten sich letzte Nacht in die Haare, will gar nicht wissen, was passiert ist, aber seine Knöchel waren ganz aufgeschlagen – jedenfalls müssen sie betrunken gewesen sein. Er ganz bestimmt. Kam nach Hause, riß sich die Kleider herunter, als ob er Josephine Baker wäre, und ging ins Bad. Ich hörte diesen dumpfen Schlag wie von einem Pferd, das in der Hitze umfällt, und wie ich hineingehe, liegt er zwischen dem Klosett und der Wand, völlig weg. Ich fettete ihn mit Pfirsichcreme ein, dann faßte ich an und zog …«
»Ich will nichts über dein Liebesleben hören«, sagte sie. »Wo ist dieser Paß, von dem Norman redete? Ich habe Arbeit zu tun, Cedric.«
»Ach so, dann werden wir nur tratschen, wenn Mrs. Wanda dazu aufgelegt ist, nicht wahr? Na gut«, sagte er und trottete wie ein frisch gestriegeltes Pony schreibtischwärts. »Ist das unser Bedürftiger?« Er musterte mich; ich fühlte mich geröntgt. »Ein Mann vom Militär, wie ich höre. Er wohnt bei euch?«
»Red nicht lange herum, Cedric, und mach lieber voran!«
»Hat sie Ihnen heute morgen geronnene Milch in den Kaffee getan?« fragte er und gab mir die Hand. Dann zwinkerte er. »Wenn sie sich allzu sehr aufplustert, und das wird nicht lang dauern, kommen Sie einfach hierher und
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