Ambient 04 - Terraplane
schnurrten auf der Mittelspur die Straße entlang. Wir schoben uns an einer gehsteigbreiten Masse von gestapelten Kisten und Kartons und aufeinandergestellten Möbeln und zusammengerollten Teppichen vorbei, auf denen Kinder ohne Schuhe hockten.
»Wieder jemand auf die Straße gesetzt«, murmelte Wanda. »Die verdammten Hausbesitzer geben keinem eine Chance, wenn er mit der Miete in Rückstand ist.«
Wie in unseren Tagen fügte ein radiobestückter Halbwüchsiger dem Lärm Geräusch hinzu; hier war sein Gerät so groß wie ein Küchenhocker, hatte nur zwei Knöpfe und war mit langem Kabel an eine Lampenfassung angeschlossen. Es übertrug die einleitende Schau zu einem Baseballspiel von den Poloplätzen, wo immer diese waren. Eine aufmerksam lauschende Menschentraube hatte sich darum versammelt. Überall entlang den Gehsteigen lungerten die Einheimischen herum, plapperten in Gruppen, stritten in Paaren, wanderten allein ihres Weges. Männer knieten über den Gittern der U-Bahn-Entlüftungsschächte und ließen Angelleinen hinunter, als wollten sie Fische fangen.
»Die Entlüftungsschächte haben sie gebaut, aber nicht die U-Bahn«, sagte Wanda. »Kein Geld mehr. Trotzdem wollen sie nächstes Jahr die Hochbahn abreißen, sagen sie. Letztes Jahr haben sie die in der Sixth Avenue abgerissen.«
An einer beschatteten Straßenecke verkaufte eine ältere Frau große Brezeln an einem Verkaufsstand, der aus zwei Kisten und einem abgenutzten Flechtkorb bestand. »Brezeln«, lispelte sie zahnlos. »Ein Penny das Stück. Kaufen Sie frische Brezeln.« Kleine Mädchen in Schottenröcken hüpften über Kreidestriche auf dem Pflaster; hemdlose Jungen warfen Taschenmesser in einen Flecken Erde, wo einst ein Baum gestanden hatte. Dutzende von Passanten winkten und lächelten Wanda im Vorbeigehen zu. Sie beantwortete jeden Gruß mit einem Wort oder Kopfnicken. Zwei zerlumpte Männer lagen nebeneinander unter Mülltonnen, tot für alle Welten bis auf ihre eigene.
»Ich wette, das kriegen Sie in Ihren Tagen nicht zu sehen«, sagte sie. »Ich glaube, die verfluchte Wirtschaftskrise nimmt nie ein Ende.«
Sie hatte recht; in unseren Tagen würden in ähnlichem Terrain zwanzig schlafen, bis sie von Straßenräubern oder Polizeisirenen oder dem Gestank ihres eigenen brennenden Fleisches geweckt wurden.
»Wenigstens hat sie endlich auch diejenigen erreicht, die all das Geld hatten«, fuhr sie fort. »Sie sind immer noch besser dran als wir, aber es tut ihnen weh. Geschieht ihnen recht.«
Wir kamen an einem neueren Gebäude vorbei, einem dreistöckigen Bau mit Hausteinfassade und einem Eingang mit Chromleisten und silbernen Buchstaben UNITED STATES BANK, GEGRÜNDET 1933. Wanda spuckte auf die Stufen.
»Ihre Bank?« fragte ich.
»Die einzige Bank, die es gibt«, sagte sie. »Wenn Sie Banken brauchen.« An der nächsten Ecke stießen wir uns durch eine Zuhörermenge; sie umringte einen Mann, der auf einer wackligen Trittleiter stand, und mit den Armen schlug, als wollte er es mit der Himmelfahrt versuchen. Seine Stimme hallte wie der Donner eines Sommergewitters.
»Der Neger verlangt faire Behandlung!« rief er. Ich äugte zwei in der Nähe stehende schwarze Polizisten. »Er verlangt die gleiche Bezahlung wie ein Weißer, wenn er die gleiche Arbeit tut. Er verlangt, daß man ihn als Mensch respektiert!« Die Zuhörer klatschten Beifall. Als wir vorbei waren, blieb Wanda stehen und wandte sich, um dem Redner zuzuhören. »Der Neger möchte nicht ein halber Mensch sein, sondern ein ganzer. Mit vollen Rechten. Mit Schulen, in die seine Kinder zu schicken der Mühe wert ist. Mit U-Bahnen, in denen man sitzen kann und nicht stehen muß!« Ein enormes JA erhob sich aus der Menge. »Mit einer Polizei, die für ihn arbeitet, und nicht gegen ihn!« Der Beifall seiner Zuhörer verdreifachte sich. Die beiden Polizisten griffen rasch ein.
»Also gut jetzt, auseinandergehen.!«
»Gehen Sie weiter!« sagte der andere und stieß zwei weißhaarige Alte beiseite. »Auseinandergehen!«
»Sehen Sie sich die an«, sagte der Sprecher, von seiner Leiter steigend. »Wir verlangen Redefreiheit in diesem Land, wie der weiße Mann sie hat …«
»Dann geh zurück nach Rußland!« rief der größere der beiden Polizisten, schritt auf ihn zu und schlug den Mann mit seinem Gummiknüppel pflasterwärts; noch ehe er die Straße küßte, war seine Zuhörermenge fort. Wanda ließ den Kopf hängen, wandte sich um und ging weiter.
»Was geht vor?« fragte
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