Ambient 04 - Terraplane
plötzlichem Gelächter gespalten. »Ich weiß noch immer nicht, wie es kommt, daß ich Ihnen allen glaube. Vielleicht warte ich bloß darauf, daß Ihnen ein Ausrutscher unterläuft.«
»Ich bin dankbar für Ihre Hilfe«, sagte ich. »Ohne Sie wären wir verloren.«
»Sie alle scheinen gute Leute zu sein«, sagte Doc. »Sogar Jake, wenn man bedenkt.«
»Er ist sehr eingefahren in seinen Gleisen«, sagte ich. »Manchmal ängstigt er ohne Absicht …«
»Ich meine, wenn man bedenkt, daß er weiß ist«, sagte Doc, nahm das Glas vom Objektträger. »Sie sind sauber, Luther.«
»Was ist gemeint?« fing ich an.
»Dieser Bill, von dem ich gerade sprach«, sagte Doc mit nachdenklicher Miene. »Er ist besser als die meisten, aber trotzdem … immer, wenn ich seine Artikel lese, oder wenn er mir etwas zeigt, das nach seiner Meinung vor der Tür steht, immer scheint mir etwas zu fehlen. Einmal fragte ich ihn. ›Bill‹, sagte ich, ›du meinst, auch die Farbigen werden so leben?‹, weil ich mir dachte, wenn sie es nicht tun, wo werden Sie dann sein?«
Mit dem Rest, dachte ich, im Tal, unter den Steinen, zwischen den Ziegeln und verloren inmitten der Fülle. »Was antwortet er?«
»Er zuckt die Achseln, er sagt: ›Natürlich werden sie es genauso haben. Alle werden gleich leben.‹ Wie gesagt, er ist ein Roter, also müssen Sie alles, was er sagt, mit einiger Vorsicht aufnehmen.« Doc stand auf, ging zu einem hölzernen Stuhl auf einem Drehgestell mit Rädern. »Glaube nicht, daß er je wirklich darüber nachgedacht hat.«
»Doc«, sagte ich, »hätte die Polizei mich geschlagen, wenn ich ein Weißer gewesen wäre?«
»Ja, unter den Umständen«, sagte er. »Sie hatten aufgemuckt, wie die es sehen, also mußten sie Ihnen zeigen, wo es langgeht. Anders wäre es gewesen, wenn Sie klargemacht hätten, daß Sie irgendwo Beziehungen haben. Aber entscheidend ist, daß niemand dort unten Sie belästigt und verprügelt haben würde, wenn Sie ein Weißer gewesen wären.«
»Das ist unvernünftig«, sagte ich, verließ meinen Sitz auf dem Behandlungstisch und behemdete mich mit vorsichtigen Bewegungen, um Stiche und Schmerzen zu mindern. Er hatte meinen alten Turban durch kleinere Gaze ersetzt, damit ich nicht so behindert aussehen würde. »Ich hatte darüber gelesen, aber keine Ahnung …«
»Sie sagen es.« Er lachte. »Verraten Sie mir etwas, was mir Kopfzerbrechen bereitet hat. Sie und Jake. Ich meine, er benimmt sich, als ob Sie ein Weißer wären.«
»Jake reagiert auf alle gleich.«
»Aber es kommt so natürlich heraus. In Ihrer Zeit kommen die Weißen wirklich mit den Negern zurecht, oder haben Sie sich schließlich bloß an sie gewöhnt?«
»In unseren Tagen gibt es viel Haß«, sagte ich. »Aber es ist mehr diffus. Nicht weniger schmerzlich, aber mehr überlegt. Verallgemeinert und unspezifisch, abgesehen vom Haß auf die Regierung, auf eine andere Klasse oder Fremde im allgemeinen.«
»Es scheint einfach unglaublich«, sagte Doc. Er lehnte sich zurück, und sein Stuhl quietschte schmerzlich unter seinem Gewicht. »Haben sie neue Gesetze oder etwas, das sie zwingt, ihnen gleiche Rechte zu geben?«
Alle haben das gleiche Recht, zu leiden. »Es kam sicherlich nicht von einem Tag auf den anderen, und Gesetze waren erforderlich. Aber das ist kein Thema mehr. In unserer Zeit entscheiden Geld und Verdienst.«
»Geld«, sagte er und lachte. »Wenn das der Fall wäre, dann würden hier alle gleich sein. Niemand hat Geld.« Er trommelte mit dicken Fingern auf die Stuhllehne, als erwarte er Nachricht von jemandem in der Ferne. »Fällt mir immer noch schwer, es zu glauben. Sagen Sie mir etwas, Luther. Alle kommen gut miteinander aus, sagen Sie, aber jemand muß mal ausrutschen. Erinnern Sie sich, daß jemand Sie einen Nigger nannte?«
Vor mehr als zwanzig Jahren, dachte ich, an Long Islands glattem Strand. »Gestern abend«, sagte ich.
»Gut, dann sagen Sie mir dies: Es muß eine Zeit gegeben haben, als ein Weißer etwas tat oder sagte, was ihnen zu verstehen gab, daß sie irgendwie anders waren. Das muß geschehen sein. Wann war es?«
Indem ich tiefer grub, als ich bisher getan, bisher gewünscht hatte, erinnerte ich mich meiner weißen Stubenkameraden in Andover, die mir nicht hatten glauben wollen, daß ich Nielsens Vierte oder Tallis ›Spem in Alium‹ dem Blues vorzog – nicht Robert Johnsons Blues –, den sie ständig gespielt und allzuoft mit eigenem Gesang begleitet hatten, dies mit der Behauptung, sie
Weitere Kostenlose Bücher