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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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müßten mich mit meiner eigenen Kultur bekanntmachen, als deren Wächter sie sich fühlten; erinnerte mich, wie ältere weiße Mieter unseres Hauses in der sechsundachtzigsten Straße sich instinktiv von mir zurückgezogen hatten, wenn ich als Halbwüchsiger zu ihnen in den Aufzug gestiegen war; erinnerte mich Skuratows Charakterisierung als Negritanskij; dachte an die Negerpuppen, die wir im DETSKY MIR gesehen hatten. In der Armee hatte ich solche Erfahrungen nie gemacht. Im Feld, auf Long Island, wo ich viele Soldaten befehligt hatte, waren die meisten selbst Schwarze oder Latinos gewesen, ausgenommen Sergeant Johnson. Bei Dryco, wo ich zugegebenermaßen der einzige schwarze Spitzenmann war, abgesehen von Mrs. Glastonbury, hatte ich nie eine Bemerkung gehört. Sie hatten mich mit Bedacht ausgewählt, gewiß, aber wenn ich beim Militär nicht erfolgreich gewesen wäre …
    »Ungewiß«, sagte ich, meine Paranoia am Überlaufen. »Wann war es bei Ihnen?«
    »Anfang 1905«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Nachdem sie mich verkauft hatten.« Seine Worte kamen mit so wenig Betonung, als hätte er von seinen Verrichtungen zwischen Bett und Frühstück gesprochen.
    »Verkauft?« wiederholte ich. »Das ist mir unklar.«
    »Vorher hatte ich Weiße kaum einmal gesehen. Wissen Sie, ich bin auf den Reynolds-Tabakpflanzungen unten in North Carolina aufgewachsen. Reynolds hatte die Pflanzung, zu der wir gehörten, aufgekauft, nachdem der Betrieb heruntergewirtschaftet war, und da Reynolds kapitalkräftig war, kaufte er noch mehr Land auf. Reynolds war besser als die meisten großen Gesellschaften, wie Sie vielleicht gelesen haben. Das trifft wirklich zu, bis zu einem gewissen Grad. Zu der Zeit, als ich heranwuchs, hatten wir unsere eigenen kleinen Ortschaften auf dem Land selbst. Unsere eigenen Läden, die von unseren eigenen Leuten geführt wurden. Als ich zur Schule kam, hatten wir alle farbige Lehrer. Gute Lehrer. Im Sommer mußten wir Kinder alle auf den Feldern arbeiten, Unkraut jäten, ernten, aber sobald die Schule anfing, wurden wir dorthin geschickt. Wir wohnten in hübschen kleinen Häusern mit eigenen kleinen Parzellen Land, wo wir für uns Gemüse und Kräuter anbauen konnten. Die Aufseher waren alle Farbige. Wir lebten so, wie es richtig zu sein schien …« Er brach ab, umklammerte die Armlehnen, als wollte er aufkommendes Heimweh erwürgen. Doc wußte, wann Zorn erforderlich war, um falsche Träume zu zerreißen. »Aber sie besaßen uns trotzdem, mit Leib und Seele.«
    »Dieses Brandzeichen auf Ihrem Rücken«, sagte ich. »Reynolds verkaufte Sie?«
    »An die einzige Gesellschaft, die das noch machte.« Er nickte trübe. »Die taten immer, was sie wollten, bis zuletzt. Wir hatten gehört, daß Reynolds auf den ausländischen Märkten zuviel Konkurrenz bekam. Das war das eine. Das andere war, daß der alte Duke bessere Lehrer und mehr Studenten für seine Universität suchte, aber keine bekommen konnte, solange die Gesellschaft nicht auf bezahlte Arbeit umstellte. Sie brauchte Geld, um bezahlte Arbeitskräfte zu entlohnen, also verkaufte sie uns, und das machte alle glücklich. Coca-Cola erwarb uns spottbillig. Das einzige Unternehmen, das zu der Zeit noch kaufte; die meisten anderen ließen es bereits auslaufen …«
    »Und das war 1905?« fragte ich; vielleicht hatte ich mich verhört. Ich hatte nicht.
    »Richtig. Ich war fünfzehn. Wo ich war, hatte Reynolds ungefähr achttausend. Coca-Cola schickte Züge von Atlanta herauf. Wir wurden aufgeladen, Schulter an Schulter in Viehwagen. Durften nur behalten, was wir tragen konnten. In meinem Zug waren ungefähr neunhundert. Wir fuhren bei Nacht weg und wurden nach unserer Ankunft bei Nacht ausgeladen. Sie hatten eine neue Fabrik außerhalb der Stadt gebaut. Weiße mit Schrotflinten, wohin man sah. Sie holten immer sechs von uns gleichzeitig aus den Waggons, um uns besser zu kontrollieren. Als erstes kamen sie mit dem Brandeisen. Dann brachten sie uns zu unseren Quartieren, billigen Baracken gegenüber der Fabrik. Nackte Erde. Latrinen im Freien. Das ganze Lager war mit Stacheldraht eingezäunt. In dieser ersten Nacht waren wir bereit, zu fliehen.«
    »Taten Sie es?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wer es versuchte, wurde erschossen. Ich glaube, sie hatten nicht damit gerechnet, daß wir ihnen solche Schwierigkeiten machen würden. Jede Woche gab es Ärger; Sie zwangen uns, sechzehn Stunden am Tag in der Abfüllerei zu arbeiten. Wer das Tempo nicht mithalten

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