Ambient 05 - Elvissey
damit als Energieverschwendung, während sie sich lieber ihrer Anbetung widmen.«
»Es ist …« London hatte sich seit meinem letzten Besuch sehr verändert, oder ich hatte die Stadt noch nie so erlebt. Als ich mit Judy gearbeitet hatte, war ich weltweit mit ihr gereist und hatte gelegentlich Drycos Städte oder die besucht, die Dryco einst besessen hatte, nie zuvor war ich an einem Ort gewesen, der so sehr an New York erinnerte, wie es gewesen war und sicherlich noch sein würde, wenn es nicht reoptimiert worden wäre. »Ich bin wortlos.«
»Sie zufriedenzustellen ist eine Sache«, sagte Malloy. »Sie zu kontrollieren eine ganz andere. Ersteres hat irgendwann bei allen Erfolg. Wenn Amerikaner längere Aufmerksamkeitsspannen hätten, wer wüßte, welchen Unsinn sie hätten aushecken können?«
Wir umrundeten die Ecke und kamen zum Hazlitt's. Johns Licht war abgeschaltet; dies war genau der richtige Abend, an dem er Spaß an einem Spaziergang haben würde, dachte ich. »Danke …« sagte ich zu Malloy.
»Nicht erwähnenswert …«
»Für alles, meine ich«, sagte ich; Rauch stieg aus dem Park und von den Nebenstraßen auf und reizte meine Nase. »Wie Sie sich um Leverett gekümmert haben. Daß Sie mich ihm entzogen haben, wenn auch nur für einen Abend. Sie sind sehr freundlich zu mir gewesen.«
»Ich hatte mir schon gedacht, daß das etwas Ungewohntes für Sie ist«, sagte er zu mir. Die Straßenbäume zitterten im warmen Wind; der Himmel rötete sich im Süden über der Shaftesbury und erinnerte mich an meine frühen New Yorker Jahre, als der Osthimmel jede Nacht blutete, während Long Island ständig belagert wurde.
»Manchmal«, sagte ich. »In letzter Zeit ja. Danke, Malloy.«
»Wenn man mich morgen nach Ihrem Verbleib fragt, werde ich bestätigen, daß Sie ärztlich behandelt werden. Ich werde Ihren Mann nach Ihrem Eintreffen beschäftigen, wenn Leverett das nicht bereits tut«, sagte er. »Rufen Sie Doktor Harrison an und besuchen Sie ihn am Vormittag, er wird sich um Sie kümmern.«
»Gut.«
Eine Explosion ein paar Blocks weiter machte mich so taub, daß ich dachte, sie wäre direkt über mir losgegangen; ich klammerte mich an Malloys Arm und zitterte noch, nachdem der Lärm verklungen war. Malloys erleuchtetes Grinsen entspannte mich, und ich ließ ihn los; trat fort, damit er nicht bemerkte, daß ich ihn nicht gehen lassen wollte. »Wenn Sie irgendwann umziehen wollen, kann ich Sie unterbringen«, sagte er, drehte sich um; sein Mantel flatterte hinter ihm auf, als er sich südwärts wandte. »Bis morgen, Isabel.«
Morgens hatte sich alles beruhigt. Nach dem Aufwachen rief ich den Arzt wegen eines Termins an und ließ mir vom Empfangschef bestätigen, daß John bereits gegangen war. Dann verließ ich das Hotel, dachte an Malloy, ging durch einen braunen Dunst, der die Straßen verschleierte; das Aussehen und der Ozongehalt der Luft erinnerten unangenehm an die Atmosphäre der anderen Welt. Arbeiter spülten Asche und Ruß von den Gehwegen, ausgeschlachtete Autos wurden aus dem Verkehrsfluß geschleppt; zerstörte Gebäude wurden repariert, und Männer in waldgrünen Overalls schnitten verkohlte Palmwedel von den Bäumen. Die kosmetische Reoptimierung erfolgte mit so nebensächlicher Ruhe, daß ich mir niemals die Ereignisse des vergangenen Abends hätte vorstellen können, wenn ich sie nicht selbst miterlebt hätte.
Londons Ähnlichkeiten zu New York zeigten sich immer deutlicher, wie sehr seine Bewohner sie auch leugnen mochten. War die Ähnlichkeitsabweichung zwischen Dryco-Amerika und Dryco-Europa wirklich so groß, wie sie erschien? Dryco machte seine Angestellten gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen zu einem Teil der Firma, wenn es sein mußte; Malloy war lange genug dabeigewesen, um dazu zu werden, obgleich er einen Grad der individuellen Sorge um die Firma entwickelt hatte, wie ich ihn nur von Judy kannte. Wie sehr hatten wir uns im reoptimierten New York durch die Verbesserung verschlechtert? Als ich mich an Malloys Gelassenheit angesichts der Gefahren erinnerte und an die so unnatürlich natürliche Ruhe der Restaurantbesucher, als der brennende Mann hereingestürmt gekommen war, dachte ich an meine Abgestumpftheit als Kind, wenn ich mit solchen Schrecken konfrontiert wurde, und an meinen Wunsch, niemals zu sehen, was John getan hatte. Wann hatte ich aus welchem Grund einen solchen Haß auf Gewalt erworben, den ich niemals zu besitzen geglaubt hatte? Machte die Reoptimierung Dryco
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