Ambient 05 - Elvissey
ebenso wie mich oder John nur weniger anpassungsfähig an die Tatsachen der Welt, die trotz unserer Bemühungen blieben, wie sie waren?
Doktor Harrisons Büro befand sich in seinem Wohnsitz, einem Reihenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert in Bloomsbury, zwei Straßen östlich der Tottenham Court Road. Als ich anrief, hatte er wie von Malloy vorhergesagt reagiert und war sofort einverstanden, mich zu sehen; als ich vor seiner Tür stand, gestattete er mir wortlos, nur mit einer knappen Begrüßung, den Eintritt. Seine Untersuchung war so behutsam, daß sie fast pädriatisch schien: Er fragte, ich antwortete; mit einfachen Werkzeugen überprüfte er meine Werte; zum ersten Mal seit Jahren glitt ich vom Untersuchungstisch, ohne das Gefühl zu haben, von Robotern vergewaltigt worden zu sein. Das Gesicht des Arztes war weder leidenschaftslos noch gefühlvoll; trotzdem erkannte ich, als er etwas Beunruhigendes bemerkte.
»Geben Sie mir ein paar Minuten«, sagte er schließlich. »Der Garten ist hinter dem Haus. Wenn Sie so früh schon die Geräusche der Natur ertragen können, warten Sie dort. Ich versuche, mich zu beeilen.«
Sein Garten war nur ein paar Meter breit und von efeubewachsenen Ziegelwänden mit Stacheldraht umgeben; ich setzte mich in einen Korbstuhl im Schatten von Lindenbäumen, beobachtete die Bienen, die über blauen Hortensien und roten Geranien schwebten, und lauschte auf die Geräusche von Sirenen und Jets. Nach etwa fünfzehn Minuten kam Doktor Harrison mit zwei Tassen Tee; er reichte mir eine, nahm auf einem Verandahocker Platz und setzte die Befragung fort.
»Dryco hat sie mit Demelanin behandeln lassen?« Ich nickte. »Warum?«
Als ich antwortete, sah ich mich vor, da ich es für unmöglich hielt, es in weniger als hundert Sätzen zu erklären, selbst wenn ich alles hätte erzählen dürfen. »Eine dringliche Geschäftsreise in eine Region voller Bigotterie. Meine Vorgesetzten verlangten, daß ich für die Dauer der Reise gebleicht wurde, um potentiellen Situationen vorzubeugen.«
»Und man hat Sie zwei Monate lang behandelt?« Ich nickte.
»Ungefähr«, sagte ich. »Und anfangs habe ich auch diesen Beschleuniger erhalten …«
Er schüttelte den Kopf und gab etwas in sein Notebook ein. »Das ist unwichtig. Verschiedene Mittel beschleunigen die Wirkung von Demelanin ohne Nebeneinflüsse. Sie setzten es ab, als der Tumor entdeckt wurde?«
»Ich bemerkte Symptome, von denen ich annahm, daß sie damit in Zusammenhang standen«, sagte ich. »Kopf- und Gelenkschmerzen. Unwohlsein, obwohl es sich dabei auch um morgendliche Übelkeit handeln könnte …«
»Das war es auch«, sagte Doktor Harrison. »Unwohlsein ist das unwichtigste Symptom. Es tut mir leid, aber bis jetzt hatten Sie Glück. Sie haben die originalen Brixton-Studien nie gelesen, vermute ich …«
»Davon gehört«, sagte ich und verscheuchte eine Biene, die zu nahe vor meinem Gesicht summte. »Warum Glück?«
»Zwei Drittel der Brixton-Teilnehmer waren innerhalb einer Woche nach Beginn der Behandlung tot«, sagte er. »Die anderen starben in den folgenden zwei Monaten.«
»Davon wußte ich nichts …«
»Man hätte es Ihnen sicherlich auch nicht gesagt. Außerhalb privater medizinischer Kreise ist hierzulande wenig davon bekannt.« Er nippte an seinem Tee, schien das Aroma zu genießen, das nach meinem Eindruck teilweise von Fisch stammen mußte. »Allergische Reaktionen töteten einige innerhalb von Minuten nach der Einnahme. Die Mehrheit bekam in drei Tagen Lungenentzündung, die unvermeidlich zu ganzkörperlicher Staphylokokkus-Infektion und allgemeiner Sepsis führte. Die die erste Woche überlebten, entwickelten im Verlauf der Weiterbehandlung bösartige Geschwülste, vorzugsweise Myelome oder Gliome, genauso wie Sie. Trotzdem wurde das Projekt, während die letzten Teilnehmer mit rosiger, wenn nicht tumoröser Haut begraben wurden, als Erfolg betrachtet, obwohl die Menschen traurigerweise Fehlschläge waren. Eine idiotische Theorie, die unangemessen angewendet wurde, dachte ich genauso wie die meisten meiner Kollegen außer denjenigen in der Gesundheitsbehörde, die damit zu tun hatten.«
»Wozu wurde es entwickelt?«
»Für die Antwort sollten Sie bedenken, daß Europa in mancher Beziehung noch nicht so aufgeklärt wie Amerika ist«, sagte Doktor Harrison. »Demelanin wurde entwickelt, um das Rassenproblem zu lindern. Die Änderung von Vorurteilen erwies sich als unmöglich, und sozialpädagogische Techniken sind
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