Ambler by Ambler
Leben seien, mit denen wir sprechen könnten.
»Also, durch bloßes Rumstehen werden wir’s nicht herausfinden«, sagte John und stakte langsam über den Bach. Ich schloß mich ihm an und sah, daß Jules mir folgte.
Das Wasser des Bachs war klar und gluckste leise, aber der Pfad auf der anderen Seite war zum Grausen. Die Verwundeten hatten sich hierher geschleppt, um sich vor der nächtlichen Kälte zu schützen, und hier waren sie gestorben. Die meisten Kornspeicher waren so niedrig, daß man darin kaum aufrecht stehen, und so klein, daß man nicht ausgestreckt liegen konnte. Eine Art Hundehütte aus Stein. Doch in einigen lagen fünf oder sechs Körper. Sie müssen dort mindestens zwei Tage und Nächte gelegen haben. Wer nicht an seinen Verwundungen und der bitteren Kälte gestorben war, der war vermutlich bei dem Versuch, etwas Wärme zu finden, erstickt.
Jenseits der Kornspeicher ging es auf dem Pfad, der kontinuierlich angestiegen war, wieder bergab. John blieb stehen. »Es sieht so aus«, sagte er, »als würde dieser Pfad unterhalb der Stadt auf die Straße stoßen.« Und dann bemerkte er, daß er einen Teil seines Publikums verloren hatte. »Wo sind der Dolmetscher und das Team?«
»Sie sind nicht mitgekommen«, sagte Jules.
»Und wieso nicht?«
Jules zuckte mit den Schultern. Er hatte nicht vor, mit dem hier Witze zu machen. »Wir haben ja immer noch die Eymo«, sagte er und hielt sie hoch.
»Na schön«, John sah mich an. »Ich glaube, wir haben zwei Möglichkeiten. Wir können weiter bis zur Straße laufen und die Stadt von dort aus betreten, oder wir robben uns über dieses offene Gelände vor. Wofür sind Sie ?«
Das offene Gelände, von dem er sprach, war die Böschung. Neben dem Pfad war ein Graben und dahinter eine Steinmauer. Sobald wir die Mauer überwunden hätten und vor der Böschung ständen, würden wir keine Deckung mehr haben. Der Gedanke, zur Straße hinunterzulaufen, gefiel mir nicht. Der Gedanke, zu bleiben, wo wir waren, gefiel mir auch nicht. Ich überlegte gerade, wie ich auf einigermaßen gleichgültige Weise sagen konnte, daß wir vielleicht doch zur Straße hinunterlaufen sollten, als der Feind die Geduld mit uns verlor.
Die erste Granate schlug noch auf der anderen Seite der Mauer ein. Das gab uns gerade so viel Zeit, in den rettenden Graben zu hechten. Während der Rest der Salve herabregnete, hörte ich John zu Jules hinübergellen, er solle alles filmen, und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Jules einen entsprechenden Versuch machte. Er war tapfer, aber er versuchte das Unmögliche. Regel Nummer Eins für Regisseure von Kriegsfilmen: Granateinschläge wirken nur dann echt, wenn sie von einem guten Special-Effects-Team vorbereitet worden sind. Das einzig brauchbare Filmmaterial, das Jules in dieser Minute aufnahm, zeigte die am Himmel herumwirbelnde Erde, denn er versuchte, die Einschlagstelle der nächsten ohrenbetäubenden Explosion zu erahnen, gleichzeitig aber seinen Kopf aus dem unvermeidbaren Erd- und Steinschauer herauszuhalten. John verwendete diese Stelle mit der herumwirbelnden Erde in seinem Film als Zwischenschnitte anstelle von konventionellen optischen Überblendungen.
Unser Wiedersehen mit dem Kamerateam und dem Dolmetscher eine Stunde später war nicht sehr herzlich. Wir sahen wahrscheinlich mitgenommener aus als wir es in Wirklichkeit waren. Johns Trenchcoat und auch die Gerätetaschen waren verdreckt. Ich hatte mir beim Sprung in den Graben einen Beinmuskel gezerrt und humpelte ein wenig. Die Deserteure machten einen betretenen Eindruck und verhielten sich trotzig. Sie hatten am Bach, als wir schon auf der anderen Seite waren, anscheinend Kriegsrat gehalten. Der Kameramann, ein Sergeant, hatte gesagt, daß ihm die Situation nicht gefalle. Daraufhin hatte der Dolmetscher, ein Leutnant, dem Sergeanten zu verstehen gegeben, daß er ja nicht weitergehen müsse, wenn er nicht wolle. Diese Neuinterpretation des alten Verständnisses von militärischer Disziplin auf dem Schlachtfeld hatte sofort Beifall gefunden, und alle waren sie dann zu den Jeeps zurückmarschiert, um dort auf uns zu warten.
Man sollte freilich nicht vergessen, daß Kameramänner aller Nationalitäten in diesem Krieg eine Verlustrate hatten, die tendenziell über dem Durchschnitt lag. Der Grund ist einfach: Infanteristen oder Panzerbesatzungen wurden in die Kämpfe geworfen und wieder herausgenommen, während man Kameramänner immer dorthin schickte, wo gekämpft wurde. Außerdem
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