Ambler by Ambler
gewöhnen müssen. Auch für scharfsinnige Kritiker von Kriegsdokumentarfilmen sollte es Regeln geben: Bei jedem tapferen Kämpfer, der im Sperrfeuer über den Rand seines Schützengrabens hinausspäht, sollte man an einen Kameramann denken, der seinen Hintern in die Luft streckt und den Rücken dem Feind zuwendet. Außer natürlich, der Kritiker zieht Wochenschauen vor.
San Pietro sträubte sich dagegen, gefilmt zu werden. Die Pioniere hatten die gesprengten Brücken am unteren Teil der Straße mit stählernen Doppel-T-Trägern provisorisch instandgesetzt. Diese Träger waren in einem solchen Abstand plaziert, daß über die inneren Serifen des »T« ein Jeep fahren konnte. Auf die äußeren Serifen paßten genau die Reifen eines kleinen Lastwagens mit breiterer Spurweite. Alle Fahrzeuge mußten bei diesen Hindernissen auf Schrittempo heruntergehen, um zu vermeiden, daß die Räder blockierten und man zurücksetzen und von neuem probieren mußte. Das waren genau die Momente, auf die die deutsche Artillerie wartete. Als wir ankamen, waren die Pioniere noch dabei, aufzuräumen, nachdem es einen ihrer Lastwagen dort schon früh erwischt hatte.
Wenn man die Straße entlangkam, lag San Pietro ganz plötzlich vor einem. Die Straße zog sich durch eine zerklüftete Berglandschaft mit tiefen Schluchten und kleinen natürlichen Höhlen. Die Brücken zogen sich über die Schluchten, und die Höhlen hatten den Baukolonnen als Magazin und bei schlechtem Wetter als Unterstand gedient. Kurz hinter dem Ortseingang lag rechter Hand eine nierenförmige Piazza. Die Trümmer am anderen Ende waren alles, was von der Stadt übriggeblieben war. Es gab zwar ein, zwei Mauerreste, die noch standen, aber keines der Gebäude konnte identifiziert werden, nicht einmal die Kirche. Die Stadt war bombardiert, mit Granaten beschossen und wieder bombardiert worden, bis sich bei jedem neuen Treffer nur noch die Trümmerhaufen etwas verschoben.
Wir sprachen mit einer Gruppe von Pionieren, die auf der Suche nach Sprengladungen waren. Sie hätten noch nichts gefunden. Es sei eigentlich nichts mehr übrig, wo man Sprengladungen verstecken könne. Es seien noch einige wenige italienische Familien da, vielleicht auch mehr, wenn wir richtig suchten. Sie würden in den Kellern unter den Trümmern hocken. Keine Türen. Sie würden durch Löcher hinein- und wieder herauskriechen. Sprengladungen seien höchstwahrscheinlich dort versteckt, wo die Deutschen ihre schweren Maschinengewehre in Stellung gebracht hatten. Die würden sie immer erst ganz zuletzt abbauen. »Wenn Sie eine deutsche Offizierspistole herumliegen sehen, heben Sie sie ja nicht auf!«
Wir sahen keine Offizierspistolen, bemerkten aber, daß die mg -Schützen keine Latrinen gegraben hatten. Auch sie hatten in und unter den Trümmern gelebt. Ich fragte mich, wo sie das Trinkwassser geholt hatten. Waren sie hinunter zum Bach bei den Kornspeichern gegangen? Vielleicht hatten die italienischen Familien in den Trümmern Zugang zu einem Brunnen oder einer alten Zisterne. Und wie hatte es mit ihren Nahrungsmittelvorräten ausgesehen? Nach den Fäkalien zu urteilen, die überall herumlagen, war der Feind wohlgenährt gewesen. Zählten diese deutsche Soldaten zu dem Typ, der seine Rationen mit den zurückgebliebenen Italienern teilte, oder waren sie mehr der Typ, von dem wir gehört hatten? Vielleicht hätten wir den Dolmetscher doch mitnehmen sollen, auch wenn Militärrecht nicht gerade seine Stärke war.
Jules hatte den Jeep auf der Piazza abgestellt, nicht weit von einer der Höhlen an der Straße. Ich sagte, daß ich einen weniger ungeschützten Ort besser fände. John sagte, er wolle erst einmal eine Einführungssequenz drehen und zeigte Jules genau, wo er die Kamera aufstellen sollte – mitten auf der Piazza.
»Wir fangen an mit einer Totalen, Blick über das Tal, bleiben bei dieser Einstellung, die wir für einen Einführungskommentar nehmen, vielleicht auch für den Vorspann. Dann langsamer Schwenk um neunzig Grad, bis die Überreste der Stadt im Bild sind. Sieben Sekunden vielleicht. Dann Schnitt, und in der nächsten Szene betreten wir die Stadt.«
Das war, fand ich, ein akzeptabler Anfang. Wie akzeptabel, würde davon abhängen, was wir betreten würden und was der Kommentator in dieser einleitenden Sequenz sagen würde. »Dies ist das Italien, wie es die Barbaren aus dem Norden vor Beginn der christlichen Zeitrechnung vorfanden« – Kameraschwenk jetzt auf San Pietro – »und so
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