Ambler by Ambler
gewisse irrationale, in Großbritannien verbreitete Auffassungen berücksichtigt werden, etwa der Verdacht, Amerika habe sich mit der Unterstützung Englands reichlich Zeit gelassen. Ich hatte versucht, dem durch den Hinweis zu begegnen, Amerika sei nicht die einzige zivilisierte Nation, die sich anfänglich geweigert habe, in den Krieg einzutreten. Einer Szene mit Neville Chamberlain, der mit seinem Münchner Abkommen vor den Wochenschaukameras herumwedelt und Frieden verspricht, hatte ich eine Szene mit Charles Lindbergh folgen lassen, der bei einer Pro-Nazi-Kundgebung in Chicago mit dem Versprechen auftritt, niemand werde die Vereinigten Staaten jemals angreifen können. Den letzten Teil der Lindberghschen Rede hatte ich mit dem Pfeifen einer fallenden Bombe unterlegt, und dann, nach einem harten Schnitt, sah man eine Bombenexplosion in Pearl Harbor.
Der Mann von der Botschaft hustete heftig. »Oh nein«, sagte er, »nein, nein, nein. Völlig unmöglich.«
Der Rest der Vorführung verlief spannungsgeladen. Bei Filmende entstand kurzes Schweigen, bevor sich der Minister an den Botschaftsvertreter wandte.
»Hatten Sie zum Ausdruck bringen wollen«, fragte er kalt, »daß es sich bei diesem Mann nicht um Lindbergh handelte oder daß er diese Worte nie gesagt hat?«
»Ich wollte bloß sagen, Herr Minister, daß wir nicht akzeptieren, daß sich Charles Lindbergh in diesem Film lächerlich macht. Jedenfalls nicht, wenn Sie Wert darauf legen, daß wir erklären, dieses Filmchen da leiste nach unserer Ansicht einen Beitrag zur anglo-amerikanischen Verständigung und zu den guten Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern.«
»Sie sind nicht willens, darüber zu diskutieren?«
»Nein.«
»Dann«, sagte der Minister mit Nachdruck, »werden wir auch Neville Chamberlain weglassen.«
»Das ist eine weise Entscheidung, Herr Minister. Es gibt ein paar Dinge, die man lieber vergessen sollte. Wir wollen doch vorausblickend handeln.«
»Irgendwelche anderen Einwände?«
»Nein. Ich finde, Ihre Leute haben wirklich gute Arbeit geleistet.«
Der Sekretär aus dem Kriegsministerium war Zivilist. Als sein Minister anfing, den Amerikanern gegenüber wieder höflich zu sein, nahm er mich beiseite.
»Sie haben mitbekommen, Herr Hauptmann?« fragte er. »Sämtliche Passagen mit Charles Lindbergh und Mr. Chamberlain werden gestrichen. Haben Sie verstanden?«
»Jawohl. Ich hatte allerdings gehofft, daß nicht alles bierernst gemeint war.«
»Herr Hauptmann, falls Sie irgendwie mit dem Gedanken spielen sollten, diese Entscheidungen nicht ernst zu nehmen, würde ich Ihnen nachdrücklich empfehlen, es sich gut zu überlegen. Wir werden dem dak natürlich ein Protokoll schicken.«
Die vierte Filmrolle umzuschneiden war eine ermüdende Sache, und der amerikanische Kriegseintritt wirkte für meine Begriffe jetzt plump. Am Ende hatte United States allerdings ein recht großes Publikum. Im Astoria-Studio war ich Leonard Spigelglass begegnet, dem Komödienautor, der damals für die Herstellung der » gi -Movies« verantwortlich war. So hießen die Unterhaltungs- und Informationsfilme, die regelmäßig an us -Einheiten in aller Welt verschickt wurden. Mein Drehbuch hatte ihm gefallen, und ich bat owi , ihm eine Kopie des fertigen Films zukommen zu lassen. Ein » gi -Movie« hatte eine Standardlänge von vierzig Minuten. United States wurde im Rahmen der Filmreihe als vollgültiger Titel gezeigt und mit viel Beifall aufgenommen. Mancherorts bekamen ihn auch britische Soldaten zu sehen. Mir sind keinerlei Beschwerden zu Ohren gekommen.
Etwa zu dieser Zeit wurde das Direktorat umorganisiert, und der Direktor bat mich, die Abteilung ak4 zu übernehmen. Ich sollte künftig für die Ausbildungs- und Informationsfilme verantwortlich sein. An der Produktion beteiligt seien die mit der Nachkriegsplanung betrauten Ministerien. Weitere Aufgaben würden hinzukommen. Ich könnte jedwede Unterstützung bekommen, aber die Gesamtverantwortung würde bei mir liegen. Dieses Amt wäre mit einer sofortigen Beförderung zum Oberstleutnant verbunden. Wie ich dazu stünde.
Über die Verantwortung freute ich mich. Was die Beförderung anging, so hatte ich meine Zweifel. Ich hatte noch nie von einem Hauptmann gehört, der auf direktem Wege zum Oberstleutnant befördert worden war, und bezweifelte, ob das überhaupt ging. Aber ich hatte mich geirrt. Es ging ganz leicht und auch ganz schnell. Eine Degradierung ging vermutlich noch schneller.
Gabriel
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