Ambler by Ambler
Yves ein adliger bretonischer Nationalist sei, für den sich die deutsche Abwehr gewiß interessiert haben dürfte. Ebenso gewiß dürfte er sich das Mißfallen einer militanten Resistancegruppe der FFI zugezogen haben.
Bettys Fall war schon schwieriger zu erklären. Ich konnte mir nur allzugut vorstellen, wie es passiert war. Ein gutaussehender deutscher Offizier hatte sie mit »Madame la Baronne« angeredet, und sie war mit Yves zu einer Abendgesellschaft eingeladen worden. Sie hätte die bemerkenswerte Entdeckung gemacht, daß die deutsche Wehrmacht am Ende doch nicht aus lauter Monstern bestand. Es hätte dann nur noch eine Spur von Mißbilligung irgendwelcher Nachbarn bedurft, um von der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit ihrer neuen Bekanntschaft überzeugt zu sein. Sie war bestimmt ein schamloser und unbesonnener Kollaborateur gewesen. Vermutlich war der Spionagevorwurf nicht mehr als ein Ausdruck von Gehässigkeit.
In meinem Brief an den cic -Mann schrieb ich, daß sie die Tochter ihres Vaters sei, der ein bekannter australischer Künstler und ein überzeugter Sozialist gewesen sei. Weshalb ich so einfältig war, anzunehmen, daß dieser Hinweis einen amerikanischen Obersten bewegen könnte, Betty vor ihren Anklägern in Schutz zu nehmen, ist mir nicht klar. Da ich mich direkt an ihn gewandt hatte, also unter Umgehung des offiziellen Dienstwegs, rechnete ich nicht mit einer Antwort. Ich bekam auch keine. Betty und Yves wurden jedoch bald entlassen und kamen nach England. Yves war vom FFI hart angefaßt worden, während Betty nur einen Verlust an Würde zu beklagen hatte. Keiner von beiden zeigte sich geneigt zu erklären, was tatsächlich passiert war. Das Thema war beendet.
Gegen Ende 1945 zählte ich die Filme, die wir in diesem Jahr gemacht hatten. Das war möglich, weil Don Bulmer Wanddiagramme angefertigt hatte, auf denen wir unser gesamtes Schaffen verfolgen konnten: solche Filme, die außerhalb der Studios gedreht wurden, solche, die mit zivilen Co-Produzenten gedreht wurden, und all das, was in den Studios von Wembley gedreht wurde. Das Diagramm verzeichnete fünfundneunzig.
Im Laufe des Jahres hatten wir die ehemalige Abteilung Lehrfilme mit einem Teil des Mitarbeiterstabes übernommen, so daß mehr als die Hälfte unserer Produktion Kurzfilme waren, die in Verbindung mit den Handbüchern für ein neues oder modifiziertes Gerät verwendet wurden. In den Lehr- und »Moral«-Filmen steckte mehr Arbeit, und im großen und ganzen waren sie auch interessanter.
Wir machten eine Serie von Filmen, in denen eine Fülle von Zivilberufen beschrieben wurde.
Schon vor der Landung der Alliierten waren alle Vorbereitungen für die einmal fällige, geordnete Demobilisierung der britischen Streitkräfte getroffen worden. Diese Maßnahmen gingen auf eine Anordnung des Premierministers zurück, der sich 1919 als Kriegsminister unter Lloyd George Meutereien von noch immer nicht demobilisierten Soldaten gegenübergesehen hatte, die in Lagern festgehalten wurden. Auch Ernest Bevins Arbeitsministerium hatte sich mit dieser Frage beschäftigt. Einige Soldaten, Männer wie Frauen, würden ins Zivilleben zurückkehren und mehr oder weniger dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Andere würden mit veränderten Vorstellungen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und mit anderen Erwartungen zurückkehren. In einem Land, in dem Mangel herrschte, vieles erneuert und wiederaufgebaut werden mußte, würde es viel Raum für Veränderungen geben. Unsere Aufgabe hatte darin bestanden, verschiedene Berufe im Film vorzuführen und zur Beschäftigung mit diesem Thema anzuregen. Diese Filmreihe entstand unter der Leitung des Arbeitsministeriums und in Zusammenarbeit mit dem Informationsministerium.
Wir drehten Filme für die Kriegsheimkehrer aller Waffengattungen. Einigen Soldaten, besonders denjenigen, die schon während der ersten Kriegstage in Gefangenschaft geraten waren, fiel es schwer, sich an die Veränderungen zu gewöhnen, die im Alltag zu Hause eingetreten waren. Nebensächlichkeiten bekamen plötzlich eine große Bedeutung: wenn die Kriegsheimkehrer nicht mit den Bezugsscheinen für Kleidung umgehen konnten oder nicht wußten, wieviel der einfache Busfahrschein in London inzwischen kostete. Repatriierte Kriegsgefangene scheuten sich zuweilen, Fragen zu stellen, weil sie fürchteten, aufzufallen. Für andere wiederum kam es bloß darauf an, zu erfahren, was sich während ihrer Abwesenheit alles ereignet hatte. Wir
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