Ambler by Ambler
wisse, warum Chicago und die Schlachthöfe genau dort lägen und nicht an irgendeiner anderen Stelle am Michigan-See. Ich mußte passen. Er fing an, mir von den frühen Transportmöglichkeiten zu erzählen und von der Zeit, als die Eisenbahn in diese Gegend kam. Er erteilte mir einen Schnellkursus in Geschichte und Wirtschaftsgeographie Amerikas. Jeden Morgen brachte er mir auf dem Weg zur Arbeit einen Stapel Bücher vorbei, die an den Stellen, die ich sorgfältig lesen sollte, mit Zetteln versehen waren. Etwa dreißig Jahre später sah ich im bbc -Fernsehprogramm zufälligerweise einen der großartigen Filme, die Alistair Cooke über Amerika gemacht hat. Der Kommentar kam mir stellenweise bekannt vor. Ich war nicht überrascht, als ich feststellte, daß es sich bei dem wissenschaftlichen Berater um Sir Denis Brogan gehandelt hatte. Mein United States im Jahre 1944 gab ihm allerdings nur vierzig Minuten Zeit, in denen er seine Geschichte etwas gehetzt erzählen mußte.
Die erforderliche Drehbuchgenehmigung habe ich nie bekommen. Die owi -Leute in London konnten mein Projekt zwar privat absegnen und unterstützen, aber sie waren viel zu protokollbewußt, als daß sie offiziell das Drehbuch eines Films hätten genehmigen können, der doch eigentlich ein Lehrfilm für die Britische Armee war. Wie kann man ein solches Drehbuch überhaupt genehmigen? Der Text ließ sich ja prüfen, aber wer konnte sagen, welche Wirkung die Bilder und die Montage auf den Gesamteindruck haben würden. Viel würde von dem mir zur Verfügung stehenden Archivmaterial abhängen. Zunächst mußte ich es überhaupt finden, dann mußte ich von den Copyright-Inhabern die Erlaubnis bekommen, es zu verwenden, und schließlich mir von den gewünschten Stellen feinkörnige Abzüge anfertigen lassen, um davon unsere eigenen Negative herstellen zu können.
Die Leute im Londoner owi taten ihr Bestes. Sie konnten offizielles amerikanisches Filmmaterial telegrafisch anfordern, aber einen Paramount-Filmausschnitt mit einem Crosby-Hope-Gag konnten sie mir nicht besorgen, ohne schriftliche Verhandlungen zu führen. Die gut katalogisierten Filmarchive, etwa das von The March of Time , befanden sich allesamt in Amerika. Es war wohl am besten, wenn ich mir das Benötigte an Ort und Stelle selbst beschaffte.
Oberst Gluckstein stimmte zu. Ich flog nach Washington und von dort nach New York. Das amerikanische Pendant zu unserem aks war im alten Studio im New Yorker ›Astoria‹ untergebracht worden. Man erwartete mich schon und hieß mich willkommen. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich fast alles Material beieinander. Zurück flog ich via Montreal.
Vor meiner Reise hatte ich ein paar gezeichnete Landkartensequenzen bestellt, die inzwischen fertig waren. Der Cutter, mit dem ich in Wembley arbeitete, hieß Reggie Mills. Er arbeitete geduldig und unermüdlich, ebenso wie der Komponist Alan Rawsthorne, der die Musik für zeitlich genau festgelegte Sequenzen schrieb, und dann oft genug feststellen mußte, daß sich die Länge der Sequenz abermals verändert hatte. Doch schließlich konnte ich David Niven, der von seinem Abenteuer in Frankreich wohlbehalten zurückgekehrt war, zur Aufnahme des Kommentars bitten. Eine Woche später erfuhr ich, daß wir den Film zur Prüfung einreichen konnten. Tag und Uhrzeit waren bestimmt, und auch der Ort, ein Vorführraum im ehemaligen Gebäude des Kriegsministeriums in Whitehall.
Das Publikum bestand aus vier Mann: einem ranghohen Vertreter der amerikanischen Botschaft, einem Mann vom owi , Sir James Grigg, unserem Kriegsminister, sowie einem seiner Sekretäre. Churchill hatte bekanntlich ein wachsames Auge auf Sir James. Irgendeiner Bemerkung, die während der anfänglich ausgetauschten Höflichkeiten fiel, entnahm ich, daß er anstelle des Premierministers gekommen war. Ich wollte mich schon für die Qualität unserer Kopie entschuldigen, hielt dann aber doch lieber meinen Mund und tat so, als sei ich bloß derjenige, der die Filmrollen gebracht hatte.
Die ersten drei Rollen wurden, außer ein paar Grunzern, mit Schweigen aufgenommen. Die Verbindungsszenen mit dem heimwehkranken gi (dargestellt von einem kanadischen Schauspieler) und dem in bezug auf Amerika unbekümmertahnungslosen britischen Soldaten (Leslie Dwyer) produzierten das meiste Grunzen. Dann kam die vierte Rolle und Amerikas Eintritt in den Weltkrieg. Ich hatte vorsichtig sein müssen. Der Film war angeblich nur für britische Zuschauer gedacht. Es mußten daher
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