Ambler by Ambler
habe es von vorne bis hinten gelesen, jede Seite, weil ich es zu Weihnachten von Tante Dora, meiner Patentante, geschenkt bekommen hatte, die bei meiner Geburt in der Wellington Road dabeigewesen war und mich damit aufzog, wie prächtig ich ausgesehen hätte, nur mit einer Nabelbinde bekleidet. Sie war meine erste Liebe, wie sie mir immer sagte. Sie schenkte mir das Buch bestimmt ohne es selbst gelesen zu haben und in dem Glauben, daß jenes »Little by Little« [Schritt für Schritt] die Art und Weise beschrieb, wie der Held die Erfolgsleiter emporkletterte. Und natürlich stand ja auch mein Name darauf, wie auf dem Becher, den sie mir zur Taufe geschenkt hatte. Damals wußte ich noch nicht, daß man gewisse Bücher wie falsch singende Mezzosoprane behandeln und auspfeifen konnte. Ich nahm Eric ganz ernst, als eine Warnung, die ein Geistlicher geschrieben und dabei besonders an mich gedacht hatte. Ein derartiger Mann, ein Dekan, wäre für ungezogene Jungen eine viel größere Gefahr gewesen als Mr. Click.
Sonntags wurde ich in die Kirche mitgeschleppt, und ich versuchte zu verstehen, worum es bei dem Gottesdienst überhaupt ging. Zu den Dingen, die mich verwirrten, gehörte die Art und Weise, wie einige Wörter ausgesprochen wurden. Besonders qualvoll war der gepreßte, hohe Singsang der Litanei, auf den die Gemeinde dann antworten mußte. Er erinnerte mich an andere Dinge. Hinter einem Fleischerladen in Lee Green gab es einen Hof mit einem Schlachthäuschen. Dorthin karrte man Schafe und Schweine und schloß hinter ihnen die Türen. Von den Schafen war dann nicht mehr viel zu hören, doch das Quietschen und Kreischen der Schweine, die in dem Moment abgestochen wurden, konnte man noch in einiger Entfernung hören. Für mich, der ich auf dem Nachhauseweg dort vorbeikam, waren dies die Geräusche von Grabenkrieg und Nahkampf mit Bajonett. In der Kirche verwandelten sich die Laute in die hohe Stimme des Geistlichen, der den Missetätern Angst einzuflößen versuchte, indem er in die Rolle eines richtenden Gottes schlüpfte. Eric zeigte mir, daß ich mich geirrt hatte und daß die Stimme des Gottesdarstellers ein Code war. Indem er sich dieses klagenden Falsetts bediente, teilte der Pfarrer allen guten Menschen unter den Anwesenden mit, daß ihnen, sofern sie sich zu ihm gesellten, all ihre Sünden wirklich vergeben würden. Und zugleich unterschied er in aller Öffentlichkeit zwischen ihnen und jenen furchtbaren, müttermordenden Söhnen, denen niemals vergeben werden könne. Wenn die Guten also antworteten »Herr, erlöse uns!« dann meinten sie damit: »alle hier Anwesenden außer Eric, den Trinker, den Raucher, der sich in übler Gesellschaft bewegt und die Nacht immer zum Tage macht, den Korrupten, den Lügner und Dieb, der all jene, die ihn lieben, unglücklich macht, den abscheulichen und undankbaren Eric, der sich weigert, in die Antwort einzustimmen.«
Na gut, dann sag ich es halt: »Wir bitten dich, Herr, erhöre uns!«
»Nein, jetzt ist es zu spät. Du hast deine Chance gehabt und sie nicht genutzt.«
»Aber Eric hat geweint und gesagt, es tut ihm leid.«
»Eric weint immer und sagt, daß es ihm leid tut, das entsetzliche kleine Scheusal. Einem gottvergessenen Sohn, der fast seine Mutter getötet hat, wird es nicht helfen, wenn er um Entschuldigung bittet. Wir werden ihn mit all den anderen Schweinchen ins Schlachthaus schicken.«
Also sank Eric zu Boden, ganz langsam, wimmernd und kreischend, der wahrhaft elende Sünder, der weint und um Vergebung bittet, anstatt den Braven eine lange Nase zu machen, anstatt sich neben seinen Freund, den Teufel, hinzustellen und zurückzuschlagen. Wann immer es eine Möglichkeit gab, mich vor dem Kirchgang zu drücken, nahm ich sie wahr, und ich versuchte auch nicht mehr, aus der Liturgie schlau zu werden. Jenem anderen Eric, diesem Dreckskerl, hat es ja vielleicht Freude gemacht, Tränen der Bußfertigkeit zu vergießen und von scheinheiligen Pfarrern getätschelt zu werden und zu hören, wie traurig doch alles war. Aber ich wollte damit nichts zu tun haben.
Magie schien leichter verständlich zu sein. In der Wochenzeitung ›Puck‹ gab es eine Serie über einen Amateurdetektiv namens Valentine Vox. Er war Bauchredner, der seine Feinde mit seiner Stimme verwirrte und ihre Pläne vereitelte. Ich habe lange Zeit versucht, bauchrednerische Effekte zu erzielen, bis mir aufging, daß es sich im wesentlichen um visuelle Tricks handelte. Daraufhin begann ich mich zu
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