Ambler by Ambler
fragen, warum ein so gerissener Mann wie Val Vox nicht beim Militär war und an der Front für Verwirrung unter den Deutschen sorgte.
Inzwischen war der Krieg ein wenig näher zu uns gekommen. Die Zeppelinangriffe hatten zu großer Empörung unter der Bevölkerung geführt, aber nicht viel Schaden angerichtet. Die deutschen Flugzeuge (»Tauben« und »Gothas«), die die Angriffe flogen, warfen später noch mehr Bomben ab. Bei uns in der Gegend hielt sich hartnäckig der Glaube, daß der Feind das Eisenbahnkreuz bei Hither Green treffen wollte, das eine halbe Meile jenseits der Schrebergärten lag. In Wahrheit stießen die deutschen Piloten, die von den belgischen Flugplätzen über die Kanalküste von Kent hereingekommen waren, zuallererst auf unsere Ecke im Südosten von London. Einige Häuser der Gegend wurden getroffen, darunter zwei in der Mitte der Newstead Road. Mein Bruder und ich schliefen zusammen in einem Zimmer, und in jener Nacht blieben die Eltern bei uns. Es kann nur eine kleine Bombe gewesen sein, eine Hundertpfünder höchstens, doch die Detonationswirkung war eindrucksvoll. Unsere Betten flogen in die Luft, und mein Vater, der wohl glaubte, die Wand würde einstürzen, sprang auf und stützte sie mit den Händen ab. Er konnte sich über sich selbst lustig machen, und seine späteren Schilderungen, wie er, mit bloßen Händen und nur mit einem Pyjama bekleidet, das Haus vor dem Einsturz bewahrte, waren amüsanter als die meisten anderen Geschichten von Luftangriffen. Ganz früh am nächsten Morgen war ich schon auf den Beinen und suchte mit einer Horde von anderen Jungen nach »Schrapnellen«, was die Polizei aber nicht komisch fand. Mit gutem Grund. Was wir sammelten, waren nicht Schrapnelle, sondern in Wahrheit Fragmente von Flugabwehrgeschossen, und was es an wirklich guten Fundstücken gab, reichte nicht für alle. Jungen wie wir, die eine Straße nach Geschoßbolzen und anderem Alteisen durchbuddelten, konnten eine Menge Schaden anrichten. Meine schönsten Funde waren ein keilförmiger Granatsplitter, 15 cm lang, mit einem Stück kupfernem Führungsdraht daran, sowie eine Schrapnellkugel aus Blei, die Onkel Sidney, einer von Mutters Brüdern, Sergeant beim East Kent Regiment, aus Frankreich mitgebracht hatte.
Das lauteste Krachen, das ich von diesem Krieg hörte, stammte von der Explosion in Silvertown, die sich an einem Freitag im Januar 1917 ereignete, als über fünfzig Tonnen tnt , die in einer Fabrik gegenüber vom Arsenal gelagert waren, von einem Feuer zur Detonation gebracht wurden. Die Druck- und Schallwellen der Explosion verhielten sich recht merkwürdig. Es war kurz vor sieben Uhr abends, und mein Bruder und ich waren gerade dabei, ins Bett zu gehen. Zuerst gab es einen grellen Blitz, dann sahen wir einen gelben Schein sich über den Himmel ausbreiten, und dann wurde das elektrische Licht allmählich immer schwächer. Plötzlich zerbrach oberhalb des ersten Treppenabsatzes eine Fensterscheibe. Als meine Mutter nach oben lief, um nach uns zu sehen, und das zerbrochene Glas unter ihren Füßen knirschte, kam plötzlich der Schall der Explosion an, als Folge von langen, vibrierenden Donnerschlägen. Mutters und auch mein erster Gedanke war, daß das Arsenal in die Luft geflogen war und Großvater Andrews mitgerissen hatte. Und warum war Vater noch nicht da? Als er endlich zu Hause eintraf, tranken meine Eltern einen Whisky-Soda, während er uns erzählte, was passiert war. Er war gerade mit dem Zug unterwegs gewesen. Nach der Explosion hatte er einen anderen Zug genommen und war zurückgefahren, um zu sehen, was vorgefallen war. Silvertown war zu einem großen Teil zerstört. Am nächsten Tag meldeten die Zeitungen, daß 69 Menschen getötet und 400 verletzt worden waren. Seine Fabrik und die Marmeladenfabrik nebenan waren mehr oder weniger unversehrt geblieben.
Die meisten Luftangriffe fanden nachts statt, aber eines Nachmittags, als ich nach dem Mittagessen wieder auf dem Rückweg zur Schule war, tauchten ein paar deutsche Flugzeuge am Himmel auf. Fliegeralarm wurde durch das Abfeuern von drei Sprengkörpern signalisiert. Als ich den Alarm hörte, befand ich mich auf halbem Weg in der Brownhill Road. Ich ging noch etwa eine Minute weiter. Dann wurde mir klar, daß niemand sonst auf der Straße ging und daß alles ganz still geworden war. Irgendwo in der Entfernung war das Feuer von Luftabwehrgeschützen zu hören. Da ich keine Lust hatte, von einem Granatsplitter, ob mit oder ohne
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