Ambler by Ambler
Lancashire die Treue und wandte sich ganz entschieden gegen Music-Hall-Komödianten, die über ihre Landsleute schlechte Witze rissen. Wilkie Bard war ein notorischer Halunke, und wenn jemand es wagte, in ihrer Gegenwart seinen Namen zu erwähnen, pflegte sie ihn postwendend in einem Tonfall grenzenloser Verachtung zu wiederholen. Mit demselben Fauchen in der Stimme sprach sie von dem Tory-Politiker Bonar Law, dessen Name ebenfalls dreisilbig war. Ich konnte verstehen, was sie gegen Wilkie Bard hatte, aber als ich sie fragte, was Bonar Law denn Schlimmes getan habe, und erwähnte, daß er von der ›Daily Mail‹ gelobt werde, entstand düsteres Schweigen. Großvater Ambler, der uns zugehört hatte, sagte daraufhin »Pah«, und Großmutter nahm ein Bügeleisen und zertrümmerte mit einem Schlag eine Krebsschere.
Sie machte den besten Krabbensalat, den ich je gegessen habe. Während dieser Wochen in Balham lernte ich auch Großvaters Vorliebe für Lokum kennen und verstehen. Tante Cis hatte ihm aus einem Laden in Durban schachtelweise davon mitgebracht, und sie war gerade angekommen. Bevor sie dieses Mal zurückfuhr, ging sie mit mir in ein Kino in der Balham High Road. Es war sehr voll, und wir mußten uns in die erste Reihe ganz außen hinsetzen. Noch Jahre später, selbst nachdem ich Zane Grey gelesen hatte, glaubte ich, daß alle Cowboys schmalschultrige Männer mit länglichen Gesichtern waren und daß ihre ledernen Hosen aus Sperrholzspänen gemacht waren.
Mein Bruder, dem es allmählich besser ging, wurde an die See in ein Erholungsheim geschickt. Das Haus war desinfiziert worden. Ich kehrte zurück und bekam sehr bald Fieber.
Ich hatte gleichfalls Scharlach, und für meine arme Mutter ging die ganze Pflegerei und die Quarantäne noch mal von vorne los. Dazu gehörte, daß Schüsseln mit Desinfektionslösung immer genau dort hingestellt waren, wo man garantiert darüber stolperte, und daß karbolgetränkte Laken im Korridor aufgehängt wurden. Die zweite Desinfektion, die vorgenommen wurde, als es mir schon etwas besser ging, war von gnadenloser Gründlichkeit. Diesmal mußten alle meine Bücher vernichtet werden und auch ein alter Telegraphenapparat, den mein Vater aus Silvertown mitgebracht hatte, damit ich ihn untersuchen und auseinandernehmen konnte. Einige der Bücher, die Bibel etwa und Eric , wurden sogleich ersetzt (ich könnte ja Sehnsucht nach ihnen bekommen), aber es passierte auch Gutes. Einer der Ingenieure von der Fabrik in Silvertown baute für mich aus irgendwelchem Krimskrams einen kuriosen Mini-Elektromotor, der so konstruiert war, daß der Unterbrecher und die Feldspulen sich auswechseln ließen, wenn ich meine eigenen Experimente machen wollte. Die neuen Bücher, die mein Vater für mich kaufte, waren Tom, Dick and Harry von Talbot Baines Reed, Der Schweizerische Robinson und Die Schatzinsel . Möglicherweise waren sie ja ausgewählt worden, um meine Gedanken über die Zukunft zu beeinflussen – Gedanken über den weiteren Bildungsweg, Gedanken über Selbsthilfe und Gedanken über die Risiken und Freuden dessen, der das Schicksal herausfordert – doch ich vermute eher, daß es Zufallstreffer waren. In dem Schreibwarenladen, in dem es auch Bücher zu kaufen gab, dürfte er gesagt haben, daß ich für mein Alter ein wenig alt sei (das Wort »frühreif« verwendete man damals zumeist dann, wenn sexuelle Verderbtheit verurteilt werden sollte), und dann wohl zum »Knaben, 10 - 12 j.«-Regal geführt worden sein. Sein Lieblingsroman war Eine tolle Nummer von Arnold Bennett, aber er sagte, dafür sei es noch ein bißchen früh. Seine Vorsicht war verständlich. Zur Feier meiner Genesung vom Scharlach war meine Mutter mit mir in eine Peter-Pan -Matinee in ein Westend-Kino gegangen, und ich hatte mich lautstark geweigert, es den anderen Kindern gleichzutun und Tinkerbell zu retten, indem ich verkündete, daß ich an Feen glaubte. »Hat allen den Spaß verdorben, der kleine Teufel«, berichtete meine Mutter abends bei einem Glas Whisky. Mein Vater lachte. Ich verließ mein Versteck oben auf der Treppe und ging wieder ins Bett. Alles war in Ordnung. Niemand brauchte zu wissen, daß ich an Kapitän Hook geglaubt und mich vor ihm gefürchtet hatte. Gut war in meinen Augen Chu-Chin-Chow.
1917 unterzog ich mich der Aufnahmeprüfung für Colfe’s Grammar School und wurde, dank den Damen von der Sandhurst Road, als Stipendiat aufgenommen. Die Schule war damals auf dem Lewisham Hill, und die
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