Ambler by Ambler
Give You Anything But Love« Jack Smith, den »Wispernden Bariton«, imitieren konnte. Er brachte mir bei, wie man beim Rauchen inhaliert und wie man in einer Kneipe Bier bestellt, ohne als minderjähriger Dreikäsehoch aufzufallen. Er orientierte sich an Vertretermaximen, die er von seinem Vater gelernt hatte. »Sauber angezogen, gut geschissen und rasiert, und schon bist du ein neuer Mensch«, murmelte er zufrieden, wenn wir im ›Green Man‹ unser verbotenes Bier tranken. Er schloß sich dann der faschistischen Jugendorganisation der Vor-Mosley-Ära an, und wenn wir tanzen gingen, trug er am Revers sein schwarzsilbernes Parteiabzeichen.
Dann kam die Abschlußprüfung, die die meisten von uns bestanden. Mr. Sims, der schon seit längerem von den Vorzügen der Institute City und Guilds wußte, hatte sich frühzeitig um einen Platz für seinen Sohn beworben. Ingenieurdiplome der Universität London waren jedoch gefragt, und es gab nicht genügend Plätze. Im Hinblick auf diesen Engpaß war das Northampton Polytechnikum in Islington (die heutige City University) aufgewertet worden und konnte nun als Northampton Engineering College komplette Studiengänge in Maschinenbau anbieten. Sims bekam dort einen Platz, wobei Mr. Sims die Studiengebühren bezahlte. Als ich zu Hause dieses Thema anschnitt, seufzte mein Vater.
»Tut mir leid, mein Junge, aber wir können nicht alles haben. Dieses Jahr wird ein Auto angeschafft, und der Urlaub muß ja auch irgendwie bezahlt werden. Außerdem bist du noch nicht sechzehn. Es ist ein bißchen früh für die Universität!«
»Sims darf aber! Er ist nur sechs Monate älter als ich.«
»Sims hat keine Geschwister. Ich werd dir was sagen, mein Junge. Wenn es dir gelingen sollte, ein Stipendium für dieses College zu bekommen, dann könnte ich das andere irgendwie schon schaffen. Ansonsten glaube ich nicht …«
Zur Verfügung standen vier Stipendien, von denen das beste mit vollem Gebührenerlaß über eine Zeit von drei Jahren verbunden war, und alle vier waren abhängig vom Resultat einer Prüfung am College. Mein Vater meldete mich an, und ich wurde zugelassen. Als ich am Prüfungstag in Islington eintraf, konnte man sich kaum bewegen, so voll war es. Für die vier Stipendien hatten sich knapp zweihundert Bewerber gemeldet, meistens Gymnasiasten aus London. Ein oder zwei trugen schmale Bärtchen. Es war sehr deprimierend. Das beste am ganzen Tag war für mich die Fleischpastete, die ich während der Mittagspause in einem Imbißlokal in der Nähe des U-Bahnhofs Angel verspeiste.
Die Prüfungsergebnisse wurden erst Wochen später bekanntgegeben, und in dieser Zeit ging von meinem Interesse an Maschinenbau und fliehenden Kinnpartien einiges verloren. Ich durfte schon eine Liste der Bücher aufstellen, die ich mir zum Geburtstag wünschte, und Tante Dora (die mir Eric geschenkt hatte) konnte mit William Archers Playmaking , einem Buch, das ich mir schon lange gewünscht hatte, ihren Fehler ausbügeln. Als ein Brief ankam mit der Nachricht, daß ich das beste Stipendium gewonnen hatte, war ich natürlich froh, aber vielleicht nicht ganz so froh, wie ich es hätte sein sollen. Ich befand mich bereits auf der Suche nach antiquarischen Taschenbuchausgaben der Dramen von Ibsen. Inspiriert von William Archer und einer Londoner Aufführung von Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor , hatte ich beschlossen, Bühnenautor zu werden.
4
A
ls ich dem Chemieprofessor meinen Namen sagte, lächelte er mich an.
»Ach richtig«, sagte er, »Sie sind derjenige, der die Prüfungsarbeit mit hundert Prozent der Punkte geschafft hat.«
»Hundert Prozent?«
»Ich hab die Arbeit benotet, also muß ich’s schon wissen. In Physik hätten Sie eigentlich auch hundert Prozent bekommen sollen, aber der Kollege hält nichts davon, Studenten allzu gute Noten zu geben. Schlecht für die Seele, denkt er. Er hat Ihnen fünfundneunzig Prozent gegeben. Fünf Prozent Abzug wegen schlechter Schrift. Hoffentlich gelingt es Ihnen, die Zeit hier irgendwie rumzubringen.«
Ich starrte ihn an. Er lächelte wieder, beinahe mitfühlend.
»Keine Bange. Es ist bloß so, daß Sie für ein Erstsemester schon sehr weit sind. In den nächsten Monaten wird es hier für Sie nicht viel zu tun geben.«
Ich hätte ihn ernster nehmen sollen, aber noch nie hatte man mich vor Langeweile gewarnt. Sims ging es prima. Es fiel ihm leicht, sich die technischen Fähigkeiten anzueignen, die damals am College noch vermittelt wurden,
Weitere Kostenlose Bücher