Ambler by Ambler
beisammen haben mußten, so wußte ich auch, daß man bei Schriftstellern, aber auch bei Schauspielern, genau darauf achten mußte. Bei Schriftstellern wie bei Schauspielern zeigte sich sofort, wenn es an Grips fehlte. Es zeigte sich an der Qualität ihrer Arbeit.
Was ich bei Gehirnerschütterung befürchtete, war nicht bloß der Verlust meines Gedächtnisses, sondern ein womöglich irreversibler Verlust von Grips.
Zusammen mit den anderen Sachen hatte man mir auch die Uhr abgenommen, und in der Umgebung des Krankenhauses war nirgendwo das Schlagen einer Turmuhr zu hören. Ich nahm mir vor, die Schwester bei ihrem nächsten Rundgang, wenn sie auch bei mir vorbeikommen und in meine Augen sehen würde, nach der Zeit zu fragen. Ich nahm an, daß es etwa eins oder halb zwei war, ausgehend davon, daß ich die Dauer ihrer Rundgänge auf jeweils dreißig Minuten schätzte. Aber ich rechnete durchaus damit, daß meine innere Uhr hoffnungslos vorging. Wenn mir jemand gesagt hätte, daß es kurz nach Mitternacht sei, ich wäre nicht überrascht gewesen.
In dieser Nacht kam ich allerdings nicht mehr dazu, mich nach der Uhrzeit zu erkundigen. Gerade in dem Moment, als die Schwester am Bett gegenüber angekommen war (einer der Fälle, wo sie den Tropf kontrollieren mußte), geschah etwas Merkwürdiges. Mir fiel wieder ein, woran ich gedacht hatte, als ich in die Autobahn eingebogen war.
Wer heutzutage Bücher schreibt, für den hält Amerika eine Tortur bereit, die als »Tournee« bezeichnet wird, was aber nichts mit Tourismus zu tun hat oder was man einst »verreisen« nannte. Diesen Namen hat die amerikanische Verlags- und Buchhandelsbranche einer Marketingmethode gegeben, die darin besteht, daß Autoren (zumeist auf Kosten ihres Verlags) kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten fliegen müssen, um Reklame für ihre Bücher zu machen. Sie treten bei Talkshows auf, lassen sich im Radio oder von Zeitungen interviewen, halten Lesungen ab und signieren ihre Bücher, ein, zweihundert Exemplare pro Veranstaltung. Die Tournee ist vollständig durchorganisiert, wobei Verlag und Medien zusammenarbeiten, damit die Autoren gleichmäßig über die dichter besiedelten Regionen verteilt werden können. Die herkömmlichen Rhythmen der Buchbranche gehören der Vergangenheit an. Ein paar Großstädte werden praktisch das ganze Jahr über mit derartigen Veranstaltungen eingedeckt.
Ich war erst einmal auf Tournee gewesen, und zwar im Jahr zuvor. Und nun hatte ich gerade mit einem neuen Buch angefangen. Während ich auf die Autobahn einbog, überlegte ich, was ich tun würde, wenn mein amerikanischer Verlag mich aufforderte, abermals auf Tournee zu gehen. Ich würde natürlich absagen, würde meine Absage aber begründen müssen.
Als ich mir die Tournee wieder in Erinnerung rief, wurde mir klar, daß es am einfachsten wäre, mich mit mangelnder Belastbarkeit herauszureden. Jedem in der amerikanischen Buchbranche muß mittlerweile bekannt sein, daß diese Tournee (außer für den Hartgesottensten der Truppe) das ist, was in der Sprache der Versicherungsgesellschaften eine Zeit erhöhten Risikos genannt wird.
Meine Kräfte wurden an den meisten Tagen schon ab fünf Uhr morgens in Anspruch genommen. Entweder sollte gleich ein Auto vorfahren, um mich zum Frühstücksprogramm einer örtlichen Fernsehstation zu bringen, oder es war ein Reisetag und man mußte seine Sachen packen, das Hotelzimmer räumen und zum Flughafen fahren. Wenn es ein Tag mit Fernsehaufnahmen war, konnte man auf dem Weg ins Studio seine Stimmung heben, indem man mit sich selbst wettete, daß der Moderator, der einen interviewen würde, nicht eine Zeile des neuen Buchs gelesen haben würde. Jedesmal würde man gewinnen. Wie einer der ehrlicheren von ihnen mir einmal erklärte, ließe sich mit Autoren, die anstelle einer dreiminütigen Nahaufnahme eines Buchumschlags drei Minuten vor der Kamera irgendwas Vernünftiges sagen konnten, billig Programme machen. In dieser Zeit steigender Produktionskosten seien wir daher willkommene Gäste. Trotzdem, in dieser Woche seien sechs von uns dran. Wenn er alle unsere Bücher lesen wollte, was würde dann, bitteschön, aus seinem Golfspiel werden? Könne man gleich vergessen, richtig? Also würde er nur die Klappentexte lesen. Sei eigentlich auch besser. Wenn man den Eindruck von Spontaneität erzeugen wollte, dann dürfte man nur ein paar flüchtige Fragen stellen. So käme es wirklich spontan raus.
Der Sender, bei dem er
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