Ambler by Ambler
geistiger Stammvater bezeichnet werden?«
Ihre Augen und der Zorn darin schienen sich jetzt auf etwas oder jemand hinter meinem linken Ohr zu richten, und ich blickte sogar über meine Schulter, um zu sehen, wer hinter mir stand, doch da wurde bloß ein beladenes Bücherwägelchen vorübergeschoben. Mir wurde klar, daß sie auf einem Auge schielte.
»Mein Vater hat oft Eric Ambler gelesen«, fuhr sie mit vorwurfsvoller Stimme fort. »Das war während des Zweiten Weltkriegs, als er bei der Marine war. Er sagte, Sie wüßten, wie Angst riecht. Er glaubte, Sie wären irgendein Flüchtling, der auf Geheimnisse gestoßen war und sie nun aufdeckte. Ambler mußte ein Pseudonym sein. Es muß noch immer eines sein.«
Ihre Stimme wurde langsam immer lauter, und einige Köpfe wandten sich uns zu. Mat legte seine Hand auf ihren Ellbogen. »Er hat einen fabelhaften Ortssinn, Tommy«, murmelte er. Es klang so, als sei er der Nüchterne, der dem Betrunkenen klarmachen wollte, daß die anderen Partygäste ihn nicht beleidigen wollten und daß es Zeit sei, nach Hause zu gehen.
Sie stieß seine Hand weg und setzte ihre Attacke fort. »Als ich Ihnen gerade zugehört habe«, sagte sie zu meinem Ohr, »als ich Ihnen da oben auf dem Podium zugehört habe, wie Sie die alten Tanten da mit Ihren billigen Witzen zum Lachen brachten, da hatte ich einen komischen Gedanken über den großartigen Antifaschisten der ersten Stunde, den verkappten Linken, den Möchtegernliberalen aus dem lieben, alten England, der dem Genre neue Impulse gegeben hat. Wissen Sie, woran ich gedacht habe, Mr. Ambler?«
»Na los, verraten Sie’s schon!«
»Und ob ich das tun werde!« Sie brachte ein Lächeln zustande, mit dem sie es ausdrücken wollte. » Falls es Sie gibt, was ich wirklich bezweifle, dann müssen Sie bis oben vollgestopft sein mit hundertprozentig abbauresistentem Müll.«
»Sie will herausfinden, was Sie bewegt«, erklärte Mat, »sie beschäftigt sich mit den ewigen Wahrheiten.«
Einen Moment lang sah sie ihn an. »Was mich beschäftigt«, sagte sie, und ihre Stimme machte eine kleine Pause, »sind Menschen und menschliche Grundgefühle, ich will wissen, wo das Herz sitzt.« Ihr Blick wandte sich mir zu, und ich konnte abermals ihr Lächeln studieren. Dann verkündete sie ihre endgültige, »Unser-Seminar-ist-jetzt-zu-Ende«-Meinung: »Sie bringen sich in Ihre Bücher überhaupt nicht ein«, sagte sie, »kein bißchen!«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte ich, doch sie hatte sich schon umgedreht, und die Frau von der pr -Abteilung bat mich, an einem der Signiertische mit der Arbeit zu beginnen. Später erkundigte ich mich nach Tommy und ihrer direkten Art. Die pr -Frau tat sehr verständnisvoll.
»Tommy hat Probleme«, sagte sie, »aber auch ungeheuer viel Talent. Und sie hat bestimmt nichts gegen Kriminalromane. Im Gegenteil, ich habe sie sagen hören, daß genau dort die wahre zeitgenössische Literatur geschrieben werde. Vielleicht lag es an Ihrem Anzug.«
»Was stimmte denn nicht mit meinem Anzug?«
»Ach nichts. Es ist bloß so, daß Tommy ihren Studenten immer sagt, daß wahre Schriftsteller nie Krawatten oder bh s oder Anzüge tragen.«
»Bei bh s bin ich mir nicht so sicher, aber ich war nicht der einzige Redner, der einen Anzug trug. Warum hat sie gerade mich herausgepickt?«
»Sie sind der Autor, den sie besonders gern kennenlernen wollte. Vielleicht dachte sie, daß gerade Sie wie ein Schriftsteller aussehen sollten. Wollen Sie die restlichen Bücher hier noch signieren?«
Die Klage, daß dieser oder jener Schriftsteller ganz anders aussieht als in seinen Büchern, ist uralt. Sie aber in der heutigen Zeit zu erheben, zeugt von einer antiquitierten Naivität, die ich mit Tommy nicht in Einklang bringen konnte. Die Sache mit dem Anzug war nicht weniger absurd. Sogar in Hollywood, wo das Tragen einer Krawatte als Zeichen von Verworfenheit gelten kann, wäre nichts Bemerkenswertes an einem Schriftsteller, der abends einen Anzug trägt. Tommy war ein bißchen zu alt für diesen kuriosen Zug von Bohème, der ihr nachgesagt wurde. Offensichtlich hatte ihr Auftritt die pr -Leute und Tourneeorganisatoren aber in Verlegenheit gebracht. Das Krawatten- bh -Anzug-Märchen hatte man sich bestimmt zurechtgelegt, um sich auf diese Weise für sie zu entschuldigen.
Keine der Nervensägen, mit denen ich später zusammenkam, war auch nur im entferntesten so aggressiv wie Tommy mit ihrer mordlustigen, ausfallenden Kritik und ihrem
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