Ambler by Ambler
demonstrieren und um die Figur, die da vorne mit einem leeren Weinglas in der Hand herumstand, mit ihren aufdringlichen Fragen zu bombardieren.
»Dr. Howard B. Gotlieb von der Universität Boston vertritt die Auffassung, daß Sie, wenn man die Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts an den Wertvorstellungen des neunzehnten Jahrhunderts messen würde, als ein zeitgenössischer Wilkie Collins zu betrachten seien. Was sagen Sie dazu, Mr. Ambler?«
»Ich glaube nicht, daß ich …«
»Sie streiten also nicht ab, daß Sie von Howard Gotlieb gehört haben, oder?«
»Nein, nein. Ich schätze ihn.«
»Wie finden Sie es dann, mit Wilkie Collins verglichen zu werden?«
»Also …«
»Er war mit Charles Dickens befreundet. Aber sicher. Also, beeinflußt Sie das jetzt? Ich frage ja bloß. Vielleicht weisen Sie diesen Vergleich ja grundsätzlich zurück.«
»Ich weiß nicht genau, ob …«
»Wie lange ist es her, seit Sie Der Monddiamant oder Die Frau, in Weiß gelesen haben? Dreißig Jahre? Vierzig?«
»Ich weiß nicht …«
»Eben. Wissen Sie, was ich an Ihrer Stelle Gotlieb fragen würde? ›Wenn ich Wilkie Collins bin, wer ist dann Dickens, wenn er chez lui ist?‹ Das würde ich ihn fragen! Wetten, er sagt ›Norman Mailer‹?«
»Tjaa …«
»Sagen Sie bloß nicht, Sie sind ein Freund von Norman Mailer!«
»Hab ihn nie kennengelernt.«
»Ach Gottchen, man braucht einen Schriftsteller doch nicht zu kennen, um sein Freund zu sein, stimmt’s?«
»Ähh …«
Er grinste mich auf unangenehm vertrauliche Art an. »Sie sind schon seit Jahren mein Freund!« sagte er.
Viele der Nervensägen, vielleicht die meisten, waren irgendeine Art von Lehrer, doch stellte sich heraus, daß eine erstaunlich große Zahl Facharzt war. Ich erinnere mich an zwei Fachärzte für Kieferheilkunde, einen Chiropraktiker und an mehrere Spezialisten für Fußkrankheiten. Einige gaben mir ihre Visitenkarten. Wenn ich mich von den Lehrern am deutlichsten an Mat und Tommy erinnere, dann nur teilweise deshalb, weil ich ihnen zu Beginn der Tournee begegnete.
Anlaß war ein Buchclub-Dinner, zu dem ein Kaufhaus in sein Restaurant eingeladen hatte. Nach Poulet à la King hielten drei Autoren, die sich auf Tournee befanden, eine Ansprache: ich, eine Schauspielerin mit ihren Memoiren sowie ein politischer Kommentator, der seine jüngste, zwischen zwei Buchdeckel gebrachte Polemik anpries. Dann hatte die Buchabteilung des Kaufhauses ihren Auftritt, und Wägelchen mit Bücherstapeln wurden hereingeschoben, die signiert und verkauft werden sollten. Zu diesem Zweck wurden lange Tischplatten aufgebaut. Währenddessen wurde ich zwei Clubmitgliedern vorgestellt, Mat Dingsbums und Thomasina Soundso.
Sie waren ein hübsches, gesund aussehendes Paar, er Anfang Vierzig, sie ein bißchen jünger. Beide trugen Edeljeans, die so aussahen, als stammten sie aus derselben Boutique. Ich hätte nicht sagen können, ob sie miteinander verheiratet waren oder zusammenlebten oder einfach nur Händchen hielten, weil sie Arbeitskollegen waren. Er war Assistenzprofessor für Anglistik an der dortigen Universität, sie hielt ein Seminar über Kreatives Schreiben. Vielleicht auch umgekehrt. Beide verfolgten natürlich nebenher ihre eigene schriftstellerische Karriere. Wie Thomasina es ausdrückte, erkauften sie sich durch ihren Job die Zeit für ihre privaten literarischen Aktivitäten.
»Jetzt kann ich’s Ihnen ja sagen«, meinte Mat aufgeräumt. »Während der Studentenzeit waren Sie mein großes Idol!«
»Das kann ja noch nicht lange her sein!«
»Tja, Sie sind noch immer ein Vorbild für mich. Ich betrachte Sie immer wieder als Vorbild.«
»Als Vorbild wofür?«
»Ortssinn«, sagte er. »Sie haben einen großartigen Ortssinn!«
»Nett, daß Sie das sagen.« Für meine Begriffe hat Ortssinn immer zu den banaleren Bestandteilen eines Schriftstellertalents gehört, aber ihn zu haben ist offenkundig besser als ihn nicht zu haben. Möglich allerdings, daß mein Tonfall nicht mehr als höflich war und jene tiefe Dankbarkeit vermissen ließ, die sie vielleicht erwarteten.
Thomasina lachte auf. »Ich hatte nicht geglaubt, daß es Sie gibt«, sagte sie und schien dann von einem plötzlichen Wutanfall heimgesucht zu werden. »Und natürlich habe ich nie geglaubt, daß Sie Engländer sind. Eric Ambler, die Legende zu Lebzeiten, der Gattungsbegriff für dramatische Verwicklungen? Daß ich nicht lache! Habe ich recht verstanden? Gattungsbegriff? Oder möchten Sie lieber als
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