Ambler-Warnung
weiß ich doch nicht. Ich vertrage das Essen hier einfach nicht. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten: Verdecktes Ermitteln ist nicht mein Metier.«
Amblers Blick wanderte regelmäßig in Richtung Straße. Bis jetzt hatte er noch keine der subtilen Veränderungen im Fußgängerverkehr beobachtet, die darauf hinwiesen, dass
dort eine Patrouille – ein Team »Watcher« – stationiert war. »Na gut, reden wir bei McDonald’s.« Man stimmt nie einem Treffpunkt zu, den die Gegenseite ausgewählt hat. »Aber nicht in dem bei der Oper.« Tarquin griff in die Brusttasche des Jacketts, das der Mann trug, und zog sein Mobiltelefon heraus. Ein Ericsson-Modell, Mehrbandhandy. Mit einer flüchtigen Untersuchung stellte er fest, dass das Gerät mit einer französischen Prepaid-Karte ausgerüstet war. Wahrscheinlich hatte Caston das Telefon am Flughafen Charles de Gaulle gemietet. Tarquin drückte ein paar Tasten, bis das Telefon die eigene Nummer anzeigte. Er lernte sie sofort auswendig.
»Ich rufe Sie in einer Viertelstunde an und sage Ihnen, wo Sie hinkommen sollen.«
Der Mann sah auf seine Digitaluhr, eine Casio. »Einverstanden«, sagte er mit einem leichten Räuspern.
Zwölf Minuten später stieg Ambler an der Station Pigalle aus der Metro. Das McDonald’s lag genau gegenüber. Die vielen Fußgänger würden es Ambler leicht machen, den Ort diskret zu überwachen. Er rief den Mann an, der sich selbst Caston nannte, und gab ihm die Adresse.
Dann wartete Ambler. Es gab Hundert verschiedene Methoden, mit denen Watcher sich unauffällig in Position bringen konnten. Das lachende Pärchen beim Zeitungskiosk, der einsame Mann mit dem fahlen Gesicht, der erotische »Spielzeuge« aus Lack und Leder in einem Schaufenster betrachtete, der junge Mann mit den Apfelbacken, dem eine Kamera an einem Band um den Hals hing und der sich in seine Jeansjacke mit Fellkragen kuschelte: Sie alle würden gleich weitergehen und konnten durch ähnliche Typen ersetzt werden, die zwar jeden Augenkontakt miteinander vermieden, aber durch einen unsichtbaren Koordinator miteinander vernetzt waren.
Aber eine solche Aufstellung sorgte für subtile Veränderungen
im Fußgängerverkehr, die ein aufmerksamer Beobachter entdecken konnte. Menschen hielten immer einen bestimmten Abstand voneinander und folgten dabei Regeln, die ihnen zwar nicht bewusst waren, ihr Verhalten aber dennoch bestimmten.
Wenn zwei Menschen in einem Fahrstuhl standen, teilten sie den verfügbaren Platz zwischen sich auf. Waren es mehr als drei Passagiere, vermieden sie sorgfältig jeden Augenkontakt miteinander. Betrat noch ein weiterer Fahrgast die Kabine, positionierten sich die bisherigen Benutzer neu und hielten den größtmöglichen Abstand voneinander. Ein kleiner Tanz, der Stunde um Stunde, Tag um Tag in Fahrstühlen auf der ganzen Welt getanzt wurde. Die Menschen verhielten sich, als hätten sie dieses Manöver trainiert, waren sich aber überhaupt nicht bewusst, was sie dazu brachte, ein Stückchen nach hinten, nach links, nach rechts oder nach vorne zu rücken. Doch die Muster waren offensichtlich, wenn man einmal darauf aufmerksam geworden war. Ähnliche Muster – elastisch, amorph, aber dennoch real – gab es auch auf den Gehwegen, bei Menschenmengen vor einem Schaufenster, in den Schlangen vor einem Zeitungsstand. Die Präsenz eines Menschen, der an einer Stelle stationiert war, an der Menschen normalerweise nur kurz, ohne bestimmte Absicht stehen blieben, störte dieses natürliche Muster. Ein ausreichend feinfühliger Beobachter spürte diese Störungen am Rand seines bewussten Empfindens. Genau zu benennen, was nicht stimmte, war viel schwieriger, als es spontan und instinktiv zu fühlen. Das wusste Ambler. Bewusstes Denken war logisch und langsam. Intuition war flüchtig, unreflektiert und lag meistens richtig. Innerhalb weniger Minuten hatte Ambler sich davon überzeugt, dass weder eine Patrouille noch ein Überwachungsteam vor dem Schnellrestaurant angekommen war.
Der teigige Mann kam mit einem Taxi, das direkt vor dem McDonald’s hielt. Er stieg aus und drehte den Kopf schnell nach allen Seiten. Statt zu entdecken, ob ihm jemand folgte, würde er einen Verfolger mit dieser sinnlosen Motorik nur auf sich aufmerksam machen.
Nachdem der CIA-Beamte das Restaurant betreten hatte, beobachtete Ambler das Taxi, bis es hinter einer Ecke verschwand. Dann wartete er noch weitere fünf Minuten. Immer noch nichts Verdächtiges.
Jetzt überquerte er
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