Ambler-Warnung
nehmen. Aber ich weiß noch mehr über Sie. Ich weiß, dass Sie in aller Regel merken, wenn man Sie anlügt. Also warum sollte ich mir die Mühe machen?«
»Was Sie gehört haben, stimmt. Macht es Ihnen keine Angst?«
»Vereinfacht das Leben meiner Ansicht nach ungemein. Ich war schon immer ein ziemlich mieser Lügner.«
»Eines will ich Sie noch fragen: Haben Sie jemandem erzählt, wo ich bin?«
»Nein.«
»Warum sollte ich Sie dann Ihrer Meinung nach leben lassen?«
»Weil ich recht habe. Kurzfristig überschneiden sich unsere
Interessen. Und langfristig? Nun ja, wie Keynes sagte: Langfristig gesehen sind wir alle tot. Meiner Meinung nach werden Sie das Risiko eingehen, eine vorübergehende Allianz mit mir zu schließen.«
»Der Feind deines Feindes ist dein Freund?«
»Guter Gott, nein«, wehrte Caston ab. »Das ist eine saudämliche Haltung.« Er begann, das Einwickelpapier zu einem Origami-Kranich zu falten. »Damit das klar ist: Sie sind nicht mein Freund. Und ich bin ganz bestimmt auch nicht Ihr Freund.«
Washington D.C.
Ethan Zackheim blickte in die Gesichter der Analysten und Technikexperten, die sich um den Konferenztisch in Raum 0002A versammelt hatten, und fragte sich beiläufig, wie viele Tonnen Steine und Beton wohl über ihm lagen. Was brachte das sechsstöckige Gebäude aus dem Jahr 1961, das mächtige Bauwerk in der C Street 2201, wohl auf die Waage? Im Moment war allerdings die Verantwortung, die auf seinen eigenen Schultern lastete, schon schwer genug.
»Gut, Leute. Wir haben offensichtlich unser Ziel nicht erreicht. Bitte sagt mir, dass wir wenigstens etwas Neues erfahren haben. Abigail?«
»Wir haben seine Downloads aus dem Konsulat analysiert«, sagte die Nachrichtenexpertin. Ihre Augen wirkten hinter ihrem braunen Pony sehr verunsichert. Dass Tarquin in eine angeblich sichere Datenbank in Paris eingedrungen war, hatte ihnen allen einen schweren Schlag versetzt. Dieser Coup war sowohl beeindruckend als auch demütigend, und es hatte von allen Seiten Vorwürfe gehagelt. Keiner wollte diese
heikle Diskussion erneut entfachen. »Er hat in drei Fällen nach Informationen gesucht, und zwar über Wai-Chan Leung, Kurt Sollinger und Benoit Deschesnes.«
»Seine Opfer«, grunzte Matthew Wexler. Als Veteran des INR, der zwanzig Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel hatte, nahm er sich das Recht heraus, jederzeit seine Meinung zu äußern. »Der Verbrecher ergötzt sich an seinen Verbrechen.«
Zackheim lockerte seine Krawatte. Ist es hier drin so heiß, oder bin das bloß ich?, fragte er sich, beschloss aber, nichts zu sagen. Er hatte das Gefühl, dass es nur ihm zu heiß war. »Aber welchen Sinn ergibt das?«
»Es macht noch deutlicher als zuvor, dass zwischen ihm und diesen Opfern eine verdammte Verbindung besteht.« Wexler beugte sich nach vorn, seine fette Wampe quoll über den Tischrand. »Vorher hatten wir starke Indizien, aber jetzt ist die Beweislage wohl eindeutig.«
»Ich würde die Ergebnisse der Bildanalyse nicht als bloße Indizien abwerten«, sagte der Bildanalyst Randall Denning leise, als wolle er nur seinen Widerspruch geäußert wissen. Sein blauer Blazer hing wie ein Sack an seinem schmalen Oberkörper. »Die Fotos platzieren ihn definitiv am Tatort.«
»Matthew, du gehst immer noch von der Annahme aus, auf die wir uns alle geeinigt haben«, sagte Zackheim. »Aber irgendwas an diesen Downloads beunruhigt mich. Warum sollte er Hintergrundinformationen über Leute sammeln, die er bereits ermordet hat? Das macht man doch normalerweise, bevor man jemanden umlegt.«
Am anderen Ende des Tisches beobachtete Franklin Runciman, der Vizedirektor von Consular Operations, besorgt, in welche Richtung Zackheims Äußerungen wiesen. Er räusperte sich. »Ethan, du hast natürlich recht damit, dass viele verschiedene Interpretationen vorstellbar sind.« Unter seinen
schweren Brauen wirkten seine Augen besonders stechend. »Das ist immer so. Aber wir können bei unseren Handlungen nicht alle berücksichtigen. Wir müssen eine Interpretation wählen und dazu nach bestem Wissen und Gewissen die Beweise untersuchen. Alle Beweise. Wir haben keine Zeit dafür, diverse Szenarien durchzuspielen.«
Zackheim biss die Zähne zusammen. Runcimans fragwürdige Zusammenfassung regte ihn furchtbar auf. Es ging doch genau darum, herauszufinden, welches Szenario den Tatsachen entsprach und welches nicht. Aber es hatte keinen Zweck, zu protestieren. Runciman hatte recht, was die vielen
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