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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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Treppenabsatz. Eine vernünftige Back-up-Stellung.
    Zwei Minuten später erschien ein dritter Mann. Es war der Muskelprotz, der Tarquin festgehalten hatte. Sein Gesicht war rot angelaufen und schweißüberströmt. Ob aus Angst oder wegen der körperlichen Anstrengung, war aus dieser Entfernung nicht zu erkennen.
    Tarquin hörte ein leises Piepsen aus dem mit Gummi überzogenen Ohrhörer und dann wieder die metallische Stimme: »Sternbild siebenundachtzig. Zielperson stationär? Erbitte Bestätigung.
« Tarquin sah, wie der schweißbedeckte Mann die Lippen bewegte, während die Stimme erklang. Offenbar war er derjenige, der die Kommunikation zwischen den Agenten koordinierte.
    Ein verblüffter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Sternbild siebenundachtzig? Bitte kommen«, sagte er.
    Tarquin stützte die gedämpfte Beretta auf dem Steinsims des schmalen Erkers ab. Er starrte in die Dämmerung und ihm sank das Herz in der Brust. Er war kein Meisterschütze, und selbst für einen Meisterschützen wäre die Entfernung für einen zielgenauen Schuss mit einer Pistole zu groß gewesen. Wahrscheinlich würde er durch einen Schuss nur seine Position verraten, statt ein Mitglied der Einsatztruppe auszuschalten.
    Er wartete, bis noch ein weiterer Agent in Bezirk siebenundachtzig erschien – inzwischen war fast die Hälfte des Teams hier versammelt –, und zog sich dann lautlos zurück. Er glitt über die niedrige Brüstung und schlich durch dorniges Gestrüpp in Richtung nördlichster Quadrant. Er konnte ein Wachhäuschen, die große Touristenkarte des Friedhofs und die hohen grünen Tore sehen, die zurück in die Stadt führten. Wenn er die Augen zusammenkniff, erkannte er die verblichenen grün-weißen Balustraden einer Pariser Geschäftsstraße. Aber der Eindruck von Nähe täuschte. Von ihrer Sicherheit war er noch weit entfernt.
    In einiger Entfernung hörte er das Knattern der Maschinenpistole und die erschrockenen Schreie der Lyrikfreundin. Sie hatte sich aufgerichtet, aber die dreißig Schuss hatten nur die Unterseite der Marmorbank getroffen und keinen Schaden angerichtet. Die Agenten in der Nähe würden sich aber auf das Signal zubewegen und einen engen, unübersichtlichen Ort absuchen müssen, den er längst verlassen hatte.

    Er beschleunigte seinen Lauf und rannte an unzähligen Gräbern und Statuen vorbei, an kahlen Bäumen und raschelndem Immergrün, durch lange Schatten und den letzten rosigen Widerschein der Abendsonne. Seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, seine Sinne hellwach. Sein Manöver hatte zwar – im Fachjargon – »den Druck der feindlichen Kräfte reduziert«, aber es standen immer noch einige Agenten in Position und scannten den Friedhof mit Feldstechern. An den Ausgängen war die Gefahr besonders groß, und so einem näherte er sich gerade. Es war logisch, an solchen Punkten Wachposten aufzustellen.
    Er rannte noch schneller, stolperte aber auf dem unebenen Boden. Während er noch lautlos fluchte, spürte er das Plopp-Plopp von Geschosseinschlägen, noch bevor er es hörte. Wieder wurde er von spitzen Steinsplittern getroffen. Wäre er aufrecht gerannt und nicht gestolpert, hätte das Geschoss ihn in die Brust getroffen.
    Tarquin warf sich zu Boden und duckte sich hinter einen zwei Meter hohen Obelisken. Wo war der Schütze? Schon wieder gab es viel zu viele Möglichkeiten.
    Ein weiterer, gedämpfter Einschlag in einen Grabstein. Diesmal von der gegenüberliegenden Seite. Der Seite, auf der er Schutz gesucht hatte. Wo lag die ersehnte Sicherheit?
    Er fuhr herum. Bei den vielen Hindernissen, die ihn umgaben, musste der flache Schuss ganz aus der Nähe gekommen sein.
    »Steh auf und kämpfe wie ein Mann.«
    Cronus.
    Der stämmige Agent trat aus dem Schatten eines großen Grabsteins.
    Tarquin scannte verzweifelt seine Umgebung. Er sah den Rücken eines grün uniformierten Friedhofsgärtners, der
nichts von dem bemerkte, was um ihn herum vorging. Auf den Schultern seiner Jacke und der Hinterseite seiner Schirmmütze stand in weißen Buchstaben: Père Lachaise Équipe d’Entretien. Durch die hohen grünen Tore hörte Tarquin – so nahe und doch so endlos weit entfernt – das geschäftige Brummen einer abendlichen Pariser Straße. Die wenigen noch verbliebenen Touristen – das Licht war zum Fotografieren bereits zu schlecht – nahmen keine Notiz von dem tödlichen Räuber-und-Gendarm-Spiel, das sich vor ihren Augen abspielte.
    Cronus hatte seine Pistole auf ihn gerichtet.

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