Ambler-Warnung
Entfernung. Die Steine und Grabmäler dieses Todesgartens würden sie aufhalten. Er musste seine Chance nutzen oder untergehen. Er rannte durch die grünen Tore auf die angrenzende Straße und hielt erst bei dem Mietwagen, den er einen Häuserblock entfernt geparkt hatte. Während er sich durch den dichten Pariser Abendverkehr manövrierte und alle paar Augenblicke kontrollierte, ob er verfolgt wurde, versuchte er, zu begreifen, was ihm gerade passiert war.
Die einzelnen Elemente der Ereignisse überschlugen sich in seinem Kopf, kollidierten miteinander und zerrten an seinem Bewusstsein. Fenton war ermordet worden. Von einem Mitglied seiner eigenen Organisation? Einem Maulwurf? Von jemandem, mit dem er zusammengearbeitet hatte? Einem Mitglied der US-Regierung?
Und der chinesische Attentäter: Aus einem Feind war ein Verbündeter geworden. Der Mann hatte sein Leben geopfert, um Ambler zu schützen.
Warum?
Für wen arbeitete er?
Alles war möglich, auch vieles, was bisher unmöglich erschienen war. Tarquin – nein, er musste jetzt wieder Ambler werden – war an einem Punkt angelangt, an dem ihn jede weitere Vermutung nur noch mehr in die Irre führen würde.
Und noch etwas anderes ängstigte ihn. Der Adrenalinrausch war ihm nicht gänzlich unangenehm gewesen. Was für ein Mann war er eigentlich? Er schauderte, als er über sich selbst nachdachte. Er hatte heute Abend getötet und war beinahe selbst getötet worden. Warum fühlte er sich dann so lebendig?
»Ich verstehe gar nichts mehr«, wiederholte Laurel. Alle drei hatten sich in Castons eintönig beigefarbenem Hotelzimmer versammelt.
»Ich auch nicht«, sagte Ambler. »Das ist mir alles ein verdammtes Rätsel.«
»Es passt nichts zusammen«, warf Caston ein.
»Moment mal«, sagte Laurel. »Du hast gesagt, alle Morde hätten etwas mit China zu tun. Du hast gesagt, es sei eine Serie, eine Sequenz, die auf ein Ereignis hinführt, das kurz bevorstehen könnte. Du hast herausgefunden, dass Liu Ang wahrscheinlich die Zielperson ist.«
»Er soll nächsten Monat zu einem Staatsbesuch nach Amerika reisen«, sagte Caston. »Großes historisches Ereignis im Weißen Haus mit Staatsempfängen und Festbanketten. Eine Menge Gelegenheiten für Anschläge. Aber ...«
»Aber was?«
»Das Timing stimmt nicht. Wenn wir von der Verdichtung der Ereignisse ausgehen, wäre nächsten Monat viel zu spät.«
»So lange müssen sie auch gar nicht warten«, sagte Laurel. Sie öffnete ihre große Handtasche und nahm eine zusammengerollte Ausgabe der International Herald Tribune heraus. »Was du über den Artikel in Le Monde gesagt hast, hat mich auf die Idee gebracht.«
»Wie bitte?«
»Morgen Abend hält Präsident Liu Ang seine große Rede«, sagte Laurel.
»Wovon sprichst du?«, fragte Ambler.
»Vom Weltwirtschaftsgipfel«, sagte sie. »Von dem internationalen Großereignis, das diese Woche in Davos stattfindet.«
Ambler begann im Zimmer auf- und abzulaufen, während er laut nachdachte. »Liu Ang verlässt zum ersten Mal seit seiner Amtsübernahme den sicheren Kokon von Peking. Er
kommt in den Westen und zeigt mit seiner großen Rede allen Skeptikern, wie sanft und kuschelig der große Drache wirklich ist.«
»Palmer hätte es nicht besser ausdrücken können«, sagte Caston bitter.
»Und wird bei dieser Rede abgeknallt.«
»Aus der Gleichung gestrichen.« Caston sah nachdenklich aus. »Aber von wem?«
Fentons Stimme: Es dauert nicht mehr lange, bis ich ein wirklich aufregendes Projekt für Sie habe. Aber packen Sie Ihre Skier noch nicht ein.
Ambler schwieg lange. Dann sagte er: »Hat Fenton womöglich geglaubt, ich würde das übernehmen?«
»Wäre das denkbar?«
»Ich grüble schon die ganze Zeit über Fentons Tod nach. Für mich beweist dieser Mord etwas. Solche losen Fäden kappt man, kurz bevor der entscheidende Schlag geführt wird.«
»Sie sagen das so sachlich«, sagte Caston. »Sind Sie wirklich kein Buchhalter?«
»Schreiben Sie es meiner Karriere in der Political Stabilization Unit zu«, sagte Ambler. »Das ist ein wichtiges Warnschild. Und es wäre durchaus möglich, dass ich den neuen Attentäter kenne, weil ich schon mal bei einer Stab-Operation mit ihm zusammengearbeitet habe.«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Laurel.
»Stab stellte nur die Besten der Besten ein. Fenton brüstete sich damit, nur die Besten von Stab einzustellen. Und wen sollte man mit der Ermordung des chinesischen Präsidenten beauftragen, wenn nicht den besten
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