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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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Hinterhalte dienen konnten. Seine Feinde bildeten ein Netzwerk auf einem Netzwerk.
    Und in dieses Netzwerk musste er eindringen. Er rannte von Grab zu Grab und merkte, dass er bei den Touristen weniger Aufmerksamkeit erregte, als er angenommen hatte.
    Denk nach! Nein, spüre es. Lass dich von deinem Instinkt leiten.
    Wie hätte er an Cronus’ Stelle dieses Team organisiert? Er hätte einige SSG-Agenten offensiv positioniert und andere auf Beobachtungsposten gestellt, von denen auch sie im Notfall offensiv eingreifen konnten. Tarquin musste seine besonderen Fähigkeiten – seinen einzigartigen Vorteil – zu seiner
Verteidigung einsetzen, sonst würde er hier sterben. Und dafür war er schon zu weit gekommen. Seine Angst wurde von dem einzigen Gefühl verdrängt, das noch stärker war: Wut.
    Er war wütend darüber, was man ihm seit Changhua angetan hatte. Wütend darüber, dass man ihm in der sterilen Umgebung von Parrish Island die Seele rauben wollte; wütend über die Arroganz der Strategen, die menschliche Wesen wie Bauern auf dem Schachbrett der Geopolitik opferten.
    Er würde hier nicht sterben. Nicht hier und nicht heute. Aber andere würden sterben, denn wer ihn umbringen wollte, verdiente keine Gnade.
    Er rannte einen als Chemin du Quinconce gekennzeichneten Weg entlang, über einen Abschnitt sumpfiger Erde zu einem anderen Weg, die Avenue Aguado. Er näherte sich dem nordwestlichen Abschnitt des riesigen Friedhofs und einer großen Kapelle im maurischen Stil, deren runde Kuppel über einem riesigen Portikus schwebte. Keine Kapelle, wie er jetzt erkannte, sondern eine Urnenhalle für die sterblichen Überreste von Feuerbestatteten. Vor dem Haupteingang führte eine steile Treppe in eine offene Gruft, eine dunkle, rechteckige Schlucht.
    Ein Zufluchtsort, der leicht zur tödlichen Falle werden konnte. Dass SSG-Team hatte mit Sicherheit auch hier einen Watcher aufgestellt. Rund zwanzig Meter entfernt begann ein halb offener Säulengang, eine Arkade aus Kalkstein und Schiefer. Tarquin rannte hinein, seine Blicke suchten alle Nischen hektisch ab. Zu seiner Linken sah er einen Japaner mit einer kleinen Digitalkamera, der ihn böse anstarrte. Tarquin verschwendete keinen weiteren Gedanken an ihn: Der Tourist war nur sauer, weil Tarquin ihm ins Bild gelaufen war. Im nächsten Alkoven standen eine junge blonde Frau und ein älterer Mann mit ergrauten Schläfen und olivfarbener Haut.
Sie umarmten sich innig, aber nicht eng, die Frau sah hingebungsvoll zu ihm auf, während der Mann Tarquin ängstlich anstarrte. Aber nicht, weil er ihn beobachtete, sondern weil er nicht entdeckt werden wollte. Vielleicht betrog der Mann gerade seine Frau, oder – schließlich waren sie in Frankreich – sogar seine Geliebte. Die nächsten beiden Alkoven waren leer. Im dritten saß eine Frau mit breitem Gesicht, die in einem Buch las. Sie sah kurz auf, registrierte Tarquin desinteressiert und kehrte wieder zu ihrer Lektüre zurück.
    Die Tarnung hätte vielleicht vor zehn Minuten funktioniert, aber inzwischen war es hier schon viel zu dunkel zum Lesen. Das Gesicht der Frau war breit und maskulin, und ihre Knie waren leicht gebeugt. Eine Katze, die sich zum Sprung bereit machte. Eine ausgebildete Agentin. Er sah, wie sie eine Hand in ihren Nylonparka schob. Das war Beweis genug, Tarquin hatte keine Zweifel mehr.
    Aber noch durfte er ihr nicht zeigen, dass er sie durchschaut hatte. Stattdessen starrte er stur geradeaus und bog in ihre Nische ein. Er bewegte sich, als habe er vor dem Erker etwas bemerkt, das er aus der Nähe betrachten wollte. Als er an ihr vorbeiging, warf er sich abrupt zur Seite und prallte gegen sie. Sie verlor das Gleichgewicht, und beide fielen schwer zu Boden. Im Fallen verdrehte er ihr die Arme und drückte ihr den Schalldämpfer der Beretta an die Kehle.
    »Einen Mucks und du bist tot«, sagte er.
    »Verpiss dich, Arschloch«, zischte sie. Aha, also auch Amerikanerin. Ihr breites Gesicht war verzerrt, eine Schlange, die sich zum Angriff bereit machte.
    Er rammte ihr das Knie in den Bauch, und sie rang nach Atem. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Wut, hauptsächlich darüber, dass sie sein Manöver nicht durchschaut hatte. Tarquin griff nach ihrem Buch – auf dem Deckel stand in kastanienfarbener
Schrift der Titel: Les fleurs du mal – und schlug es auf. Wie erwartet, befand sich ein Mini-Funksender in einer aus den Seiten ausgeschnittenen Vertiefung. »Sag, dass du mich gesehen hast«, flüsterte Tarquin.

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