Ambler-Warnung
einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach acht Uhr morgens, die Sonne ging spät auf im Januar. Und im Gebirge dauerte es noch länger, bis sie über die Gipfel der Berge gestiegen war und in die Täler schien. Er sah den mit der Plane abgedeckten Jeep auf dem verschneiten Parkplatz stehen. Die Abdeckplane flatterte im eiskalten Wind. Mit dem Wagen waren wahrscheinlich die französischen Grenzer zur Acht-Uhr-Schicht gebracht worden. Ihre Schweizer Kollegen waren natürlich von der anderen Seite gekommen. Ambler versteckte sich hinter einer niedrigen Schonung aus jungen Fichten. Kiefern in dem Bestand waren gefällt, aber nicht ausgeräumt worden. Die Wipfel waren zwar dicht, aber die Nadeln der Zweige waren bereits abgefallen. Sie boten wenig Sichtschutz. Aber die Fichten waren dicht benadelt, hinter ihnen fand er gute Deckung. Ambler hob seinen Kompaktfeldstecher und spähte durch eine Lücke zwischen zwei ineinander verschlungenen Fichten. Der Grenzbeamte, der sich gerade eine Zigarette angezündet hatte, nahm einen tiefen Zug, streckte sich und sah sich flüchtig um. Ambler sah, dass der Mann keine besonderen Vorkommnisse erwartete. Nur einen ganz gewöhnlichen, langweiligen Arbeitstag am Grenzposten.
Durch die Fenster des Zollhauses sah Ambler weitere Grenzbeamte, die Kaffee tranken und – nach ihren Mienen zu urteilen – belanglosen Klatsch austauschten. Zwischen ihnen saß zufrieden ein Mann mit rotem Flanellhemd, dessen birnenförmiger Körper auf eine sitzende Tätigkeit hindeutete. Wahrscheinlich der Lastwagenfahrer.
Der Verkehr war noch spärlich. Warum sollten müde Männer auch in der klirrenden Kälte stehen, wenn auf der Straße nur der Wind heulte und kein Auto zu sehen war. Zum Teufel mit den Vorschriften. Auch ohne zu hören, was die Männer sprachen, sah Ambler an ihren Gesichtern, dass sie sich gutmütig gegenseitig neckten.
Ein Mann jedoch hielt sich etwas abseits von den anderen. Seine Körpersprache verriet, dass er nicht zu dieser kleinen Gemeinschaft gehören wollte. Ambler richtete seinen Feldstecher auf ihn. Der Mann trug die Uniform eines hochrangigen Beamten der französischen Zollbehörde. Ein offizieller Besucher also, der vermutlich damit beauftragt war, Stichproben an Grenzposten durchzuführen. Da die anderen sich völlig unbefangen benahmen, hatte er ihnen wohl zu verstehen gegeben, dass ihm seine anstrengende und undankbare Aufgabe ziemlich gleichgültig war. Die Behörde hatte ihn als Aufseher abgestellt, der regelmäßig nach dem Rechten sehen sollte. Aber wer beaufsichtigte den Aufseher?
Als Ambler am Mitteltrieb des Feldstechers drehte, wurde das Gesicht des Mannes schärfer. Und Ambler sah, wie gründlich er sich getäuscht hatte.
Der Mann war kein Beamter der Zollbehörde. Eine Kaskade fragmentarischer Erinnerungsbilder stürzte auf Ambler ein: Er kannte dieses Gesicht. Und nach ein paar endlosen Augenblicken hatte sich dieses Gefühl zur Gewissheit erhärtet. Wie dieser Mann hieß, war unwichtig, denn er benutzte unzählige Decknamen. Er stammte aus Marseille und hatte schon als Jugendlicher die Drecksarbeit für die Marseiller Drogenbosse erledigt. Als es ihn als Söldner ins südliche Afrika und die Senegambia-Region verschlug, war er bereits ein erfahrener Killer. Inzwischen arbeitete er freiberuflich und wurde hauptsächlich für Auftragsmorde engagiert,
die ein hohes Maß an Diskretion erforderten. Und besondere Fähigkeiten voraussetzten. Er war ein hervorragender Killer und verstand sich auf den Umgang mit Schusswaffen, Messern und Würgedraht. Ein nützlicher Mann für den scheinbar willkürlichen, ungeplanten Mord. In seinem Berufsfeld nannte man solche Männer einfach Spezialisten. Als Ambler ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er blond gewesen, jetzt hatte er dunkles Haar. Die hohlen Wangen unter den hohen, scharfen Wangenknochen und der schmale Mund waren unverändert, auch wenn man ihm sein Alter jetzt stärker ansah. Plötzlich richtete der Mann den Blick direkt auf Ambler. Ein Adrenalinstoß durchfuhr ihn – war er entdeckt worden? Nein, das war unmöglich. Der Blickwinkel und die Beleuchtung verbargen ihn vollständig. Der Killer beobachtete einfach, was sich vor dem Fenster abspielte. Der vermeintliche Augenkontakt war reiner Zufall und dauerte nur Sekunden.
Eigentlich hätte es Ambler beruhigen müssen, dass der Killer sich im Haus aufhielt. Leider war das nicht der Fall. Dies war kein Auftrag für einen einzelnen Mann. Wenn der Spezialist
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