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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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bedeuten konnten. Seine Stimmung war so trübe und kalt wie der Januartag. Er fühlte sich unbedeutend, machtlos und isoliert. Der Mann, den es nicht gab. Nicht einmal für sich selbst. Leise, boshafte Stimmen begannen in seinem Schädel zu raunen, verhöhnten ihn und quälten ihn mit nagenden Zweifeln. Er war hoch oben in den Bergen und fühlte sich doch, als sei er auf dem endlosen Meer verschollen.
    Der Boden unter seinen Füßen schien sanft, aber spürbar zu schwanken. Was geschah nur mit ihm? Es musste Hypoxie sein. Höhenkrankheit – die Auswirkungen großer Höhe auf Menschen, die nicht an sie gewöhnt waren. Hypoxie konnte dazu führen, dass der Sauerstoffgehalt des Blutes sank, was Verwirrung auslösen konnte. Er atmete tief die dünne Bergluft ein und versuchte, sich an seiner Umgebung zu orientieren. Er reckte den Hals und sah die mauerähnlichen Berghänge an, die in Armeslänge vor seinem Gesicht aufzuragen schienen. Klaustrophobie überkam ihn und versetzte ihn zurück in die Gummizelle auf Parrish Island. Plötzlich schossen ihm die unzähligen Fachausdrücke durch den Kopf, denen er ausgesetzt gewesen war: dissoziative Persönlichkeitsstörung, Identitätsfragmentierung, Paranoia, abreaktive Ego-Dystonie.
Ihr Wahnsinn , nicht seiner, und er würde ihn überstehen. Er hatte ihn überstanden, denn nur seine Suche nach sich selbst hatte ihn hierher geführt.
    Oder war vielleicht diese Suche der eigentliche Wahnsinn?
    Zu den Schatten in seinem Unterbewusstsein gesellten sich die Schatten, die er zu schnell aus seinem Bewusstsein verdrängt hatte.
    Die dröhnende, begeisterte Stimme eines stämmigen Unternehmers: Sie sind der Mann, den es nicht gab. Offiziell existieren Sie gar nicht!
    Die behutsamen Worte des brillanten, blinden Osiris: Denken Sie an Ockhams Rasiermesser: Was ist die einfachste Erklärung.?. . . Es ist einfacher, den Inhalt Ihres Kopfes zu verändern, als die ganze Welt umzukrempeln ... Sie erinnern sich doch bestimmt noch an ... die Programme zur Bewusstseinskontrolle aus den fünfziger Jahren – oder? . . . Die Namen wurden geändert, aber die Forschung wurde nie aufgegeben.
    Der Psychiater mit der eckigen Hornbrille, der langen braunen Stirnlocke, den Filzstiften – und den Worten, die wie Feuer brannten: Die Frage, die ich Ihnen stelle, ist die Frage, die Sie sich selbst stellen müssen: Wer sind Sie?
    Ambler taumelte in eine Hintergasse und lehnte sich hinter einem Müllcontainer an die Wand. Mit einem lauten Stöhnen versuchte er, die lärmenden, durcheinanderschreienden Stimmen, den Höllenlärm zu vertreiben. Er würde nicht scheitern. Er durfte nicht scheitern. Wie ein Ertrinkender holte er immer wieder tief Atem. Er kniff die Augen zusammen und redete sich ein, dass sie nur wegen des scharfen Windes tränten. Im Schutz dieser kurzen Dunkelheit wollte er sich zusammenreißen. Aber vor seinem geistigen Auge erschienen unzählige Computerbildschirme, verschwommen und verzerrt bis auf den blinkenden Cursor in jeder Bildschirmmitte,
ein Cursor, der wie ein Warnzeichen am Ende einer einzigen, kurzen Zeile blinkte:
    KEINE ERGEBNISSE FÜR HARRISON AMBLER.
    Ambler krümmte sich zusammen und würgte. Der ersten Welle der Übelkeit folgte eine zweite, noch stärkere. Er stand gebeugt, beinahe kauernd da, die Hände auf die Knie gestützt. Er spürte weder die Kälte noch den Wind und hechelte wie ein Hund im August. Plötzlich drang eine andere Stimme in sein Bewusstsein ein, erschien ein anderes Gesicht vor seinem geistigen Auge. Und wie heller Sonnenschein vertrieb die Vision die dunklen Schatten seines Elends und seiner Verzweiflung. Ich glaube an dich, sagte Laurel Holland und zog ihn an sich. Ich glaube dir. Und du musst auch an dich glauben.
    Fast sofort verschwand die Übelkeit. Ambler richtete sich auf und spürte, wie seine Kraft und seine Entschlossenheit zurückkehrten. Er war aus den schlammigen Tiefen seines Unterbewusstseins aufgetaucht und zur Oberfläche zurückgekehrt. Er war aus seinem eigenen, ganz persönlichen Albtraum erwacht.
    Nun musste er sich in einen anderen Albtraum begeben. Und er durfte nicht versagen. Sonst würde die ganze Welt in einem Albtraum versinken, aus dem sie vielleicht nie wieder erwachte.
     
    Mit einem prüfenden Blick auf die Uhr vergewisserte sich Ambler, dass ihm noch ein wenig Zeit blieb. Er machte sich auf den Weg zum größten Hotel von Davos, dem Steigenberger Hotel Belvedere an der Promenade 89. Das Kongresszentrum lag schräg

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