Ambler-Warnung
Veränderung. Nicht zu handeln, ist ebenfalls Handeln. Sie sprechen von den Gefahren unserer Handlungen, als gäbe es eine risikofreie Alternative. Aber die gibt es nicht. Was würde passieren, wenn wir Liu Ang leben lassen? Denn auch das wäre eine Handlung. Welcher Verantwortung müssten wir uns dann stellen? Haben Sie die Risiken dieser Situation mal bewertet? Wir haben das. Man steigt nie zweimal in denselben Fluss – alles ändert sich. Heraklit wusste das schon fünfhundert Jahre vor Christus, und dieser Satz gilt auch heute noch, in einer die Erde umspannenden Zivilisation, die er niemals für möglich gehalten hätte. Sie haben begriffen, welcher Logik wir folgen, nicht wahr?«
Caston schnaubte. »Ihre Logik hat mehr Löcher als ein Duschkopf. Sie tun alles in Ihrer Macht Stehende, um einen neuen Weltkrieg auszulösen.«
»Die Vereinigten Staaten funktionieren am besten, wenn sie sich im Kriegszustand befinden«, sagte Palmer mit dem
Gleichmut des Wissenschaftlers. »Panikzustände und Depressionen gibt es nur in Friedenszeiten. Erst der Kalte Krieg – der aus unzähligen kleineren Scharmützeln bestand – hat unsere globale Vormachtstellung gesichert.«
»Amerikaner wollen die Welt nicht beherrschen«, sagte Undersecretary Whitfield. »Aber eines wollen sie ebenfalls nicht: Dass jemand anderes die Welt beherrscht.«
Der Buchprüfer holte zitternd Atem. »Aber ein neuer Weltkrieg ...«
»Sie tun so, als müssten wir den Konflikt um jeden Preis vermeiden. Als Historiker muss ich Sie auf ein Paradox hinweisen, vor dem Sie bis jetzt offenbar die Augen verschlossen haben«, unterbrach ihn Palmer. »Eine Nation, die den Krieg meidet, provoziert dadurch Krieg. Sie ermutigt andere zu aggressiven Akten, die ihren Niedergang zur Folge haben werden. Heraklit hat auch das begriffen. Er sagte: >Krieg ist der Vater aller Dinge, der König aller Dinge. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, manche macht er zu Sklaven, manche macht er frei.‹«
»Hoffen Sie, dass er aus Ihnen einen Gott macht, Professor Palmer?«, fragte Caston sarkastisch.
»Keineswegs. Aber als Amerikaner will ich auch kein Sklave werden. Und Sklaverei wird es auch im einundzwanzigsten Jahrhundert geben. Nur dass ihre Werkzeuge nicht mehr eiserne Ketten sind, sondern wirtschaftliche und politische Zwänge. Unsichtbare Ketten, die niemand sprengen kann. Das zwanzigste Jahrhundert war für die Amerikaner ein Jahrhundert der Freiheit. Durch Ihre Untätigkeit verurteilen Sie die Amerikaner zu einem Jahrhundert der Sklaverei. Sie können gern über Unsicherheit jammern. Ich weiß, dass es Unsicherheiten gibt. Aber das rechtfertigt niemals Passivität im Angesicht der Aggression. Warum sollten wir uns von den Ereignissen
überrollen lassen, wenn wir die Chance haben, diese Ereignisse aktiv zu gestalten?« Palmers Bariton klang beruhigend und überlegen. »Sehen Sie, Mr. Caston, der Lauf der Geschichte ist viel zu wichtig, um ihn einfach dem Zufall zu überlassen.«
Ambler beobachtete den Slowaken. Seine anfängliche Verwirrung machte zunehmendem Misstrauen Platz, das sich erhärtete wie Epoxydharz in der Sonne. Er warf einen Blick auf den Ausweis: Jan Skodova. Wer war der Mann? Ein Regierungsbeamter? Ein Geschäftskollege – oder ein Rivale?
Ambler grinste breit. »Da haben Sie recht. Wir waren zusammen bei einem Vortrag und haben zum Spaß die Ausweise getauscht.« Kurzes Innehalten. »Kann ich Ihnen jetzt nicht erklären.« Er streckte die Hand aus. »Bill Becker von EDS in Texas. Und woher kennen Sie meinen neuen Freund Joe?«
»Ich bin ebenfalls Geschäftsmann, von Slovakia Utilities. Wo ist Jozef?« Seine Augen waren so kalt wie Marmor.
Verdammt! Die Zeit lief ihm davon!
»Haben Sie eine Visitenkarte?«, fragte Ambler und tat so, als suche er seine eigenen.
Misstrauisch zog der Osteuropäer eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Blazers.
Ambler warf einen schnellen Blick darauf, bevor er sie einsteckte. »Moment mal – sind Sie der Typ vom Kabelfernsehen aus Kosice? Joe hat mir von Ihnen erzählt.«
Unsicherheit flackerte über Skodovas Miene, und Ambler nutzte seinen Vorteil aus. »Wenn Sie ein bisschen Zeit haben, dann kommen Sie doch einfach mit. Joe und ich haben uns gerade in der kleinen Privatlounge dort drüben unterhalten. Ich musste mir bloß kurz die Kehle befeuchten. Massenveranstaltungen liegen mir nicht. Vielleicht kommen wir beide
ja auch noch ins Geschäft. Kennen Sie Electronic Data
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